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Ein ganzes Dorf kaufen

Tonda Toskana Montaione Dorf

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Ein ganzes Dorf kaufen – über diese Schlagzeile stolperte ich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. Dahinter verbarg sich meist die Geschichte eines großen Tourismus-Konzerns, der einer zum Verfall verdammte Ortschaft in den ländlichen Weiten verschiedener Destinationen neues Leben einhauchte. 

Selbst in Deutschland finden wir inzwischen verlassene Dörfer und kennen die Gründe dafür: fehlende Perspektiven für jüngere Generationen führen zur Abwanderung in größere Städte. So schön das Fleckchen Erde auch sein mag – wer sich um seine Zukunft sorgt, kann das Paradies nicht genießen. 

Tourismus ist also ein guter Lösungsvorschlag, malerische Dörfer vor dem Schicksal verblassender Erinnerungen zu bewahren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen, die jungen Menschen Möglichkeiten eröffnet, in der Heimat bleiben zu können.

Mit einem dieser Dörfer verbinde ich eine ganz besondere Geschichte: Meine eigene. Vermutlich wäre mein Leben und das meiner Familie ganz anders verlaufen, wären wir nicht vor Jahrzehnten als Urlauber dort gelandet.

Es war im Jahr 1976, als meine Eltern entschieden, mit ihren fünf Kindern in die Toskana zu reisen. Lange bevor die sogenannte “Toskana Fraktion” diesen Landstrich bekannt gemacht hatte und lange bevor fast jederman mit dem Wort Toskana sofort ein Bild von Zypressenalleen auf nicht enden wollenden Horizonten vor Augen hat, da diese Ansichten eher zig als einmal die Titelblätter bekannter Reise- und Genuss-Magazine zierten.

Wir reisten in die Gegend von Montaione im Herzen der Toskana, genauer gesagt nach Tonda, ein Feriendorf mit circa 40 Wohneinheiten, das einige Jahre zuvor von der Schweizer Aktiengesellschaft Hapimag gekauft und zur Feriensiedlung restauriert wurde. 

Schon wenige Kilometer nach Erreichen des Städtchens Montaione erwartete uns eine staubige Schotterstraße, die wir mit unserem weißen Peugeot 504 – gefühlt noch ewig – bis ans Ende rumpelten. Verschwitzt, müde und hungrig waren wir am Ziel.  Wir standen vor einer Holzschranke mit dem Schild “Tonda”.  Dahinter ein beschaulich wirkendes Dorf aus der typisch toskanischen Steinarchitektur mit einem kleinen Turm auf der Anhöhe. Es war der Eintritt in eine andere Welt – der Eintritt ins Paradies!

Das Dorf war gefühlvoll restauriert worden, kleine Steinsträsschen führten durch die autofreien Gassen. Dazwischen Wiesenflächen mit Liegestühlen. Die Häuser trugen zum Teil Namen wie “Pfarrhaus”, “Schule”, “Torre”,die daran erinnerten, was einmal ihre Funktion bedeutete. Die ehemalige Kirche war ein Gemeinschaftsraum für Spiele und Begegnung.  Der echte Mittelpunkt wurde jedoch durch den Gemeinschaftspool gebildet, hier traf sich, wer Begegnung wünschte.

Ich kann mich noch an jedes Detail erinnern, an den Duft des Ginsters, an den Gesang der Zikaden und vor allem an das Gefühl von Freiheit. Nach dem morgendlichen Familienfrühstück auf der Terrasse mit italienischer Nutella (finden Sie nicht auch, dass Nutella bis heute in Italien anders schmeckt als bei uns?) strömten wir aus. Wir schlossen Freundschaften, erkundeten die Gassen, spielten stundenlang im Pool und waren restlos glücklich. Erst zum Abendessen fand sich die Familie wieder auf der Terrasse zusammen, erhitzt von der warmen Sonne des Südens, betankt mit Energie und sommerlicher Freude. An manchen Abenden, die zu den Höhepunkten des Urlaubs zählten, marschierte die ganze Familie den Schotterweg entlang in die circa zwei km entfernte Trattoria il Cacciatore, wo wir unsere ersten  Erfahrungen mit italienischem Essen und seiner umfangreichen Menüfolge machten: Crostini, Salumi, Schinken mit Melone, Pasta, tellergroße Bistecca Fiorentina und Cantuccini zu Vinsanto. 

Es gab keine Menükarte, der Wirt Marino erklärte am Tisch das Menü und verstand es auf wundersame Weise, sich zu merken, wie wir alle aufgeregt unsere Essenswünsche äußerten. Dazu tranken unsere Eltern toskanischen Rotwein aus der damals noch typischen bauchigen Chiantiflasche und schlossen Bekanntschaften mit Einheimischen, die dieser 7 köpfigen Familie voller Herzlichkeit und Gastfreundschaft begegneten. Wir hatten uns verliebt, alle sieben, in ein Land, eine Gegend, in das Essen und die Menschen –  eine Liebe, die nie enden sollte! 

Toskana, meine Liebe

Wir reisten danach Jahr für Jahr ins gelobte Land und es blieb das Paradies, wie wir es im ersten Jahr entdeckt hatten. Vielleicht wäre es dabei geblieben, dass das Erlebnis Toskana für mich gleichbedeutend mit dem Ort Tonda geblieben wäre. Doch dann erkrankte mein Bruder Axel 1983 am Ende unseres Urlaubs an einer Blinddarmentzündung. Er musste ins Krankenhaus und wir kamen für die “Zwangsverlängerung” unseres Urlaubs in einem benachbarten Weingut unter.  Mein Vater, wach und offen und stets ohne Sprachhemmungen italienisch parlierend, wunderte sich darüber, dass eine Wohnung zur Hauptsaison in dieser malerischen Gegend noch frei war. Er bot den sympathischen Weinbauern an, in Deutschland entsprechend zu inserieren, um wertschätzende Kunden zu finden.

Gesagt, getan – mit dem Slogan “Toskana Meine Liebe” wurde ein Inserat in DIE ZEIT gesetzt. Worte, die so sehr von Herzen und aus tiefster Überzeugung kamen, dass man gar nicht anders konnte, als meiner Mutter jedes Wort zu glauben, die die Kunden am Telefon beriet. Die Ferienwohnung war blitzschnell ausgebucht. Der Weinbauer restaurierte daraufhin zwei weitere Wohnungen, die durch das Überzeugungstalent meiner Mutter bereits schon vor Fertigstellung ausgebucht sein sollten. 

Das war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Meine Eltern sollten die Gegend von Montaione prägend beeinflussen. Sie waren Pioniere in der touristischen Entwicklung der gesamten Region. Das Unternehmen Siglinde Fischer wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten ein Familienunternehmen für besonders ausgewählte Unterkünfte, charmante Hotels und hochwertige Villen im Mittelmeerraum, das ich mehr als 15 Jahre als Geschäftsführerin leiten sollte und dessen Pforten ich nach intensiven Überlegungen durch die Corona Pandemie 2020 schloß, um ein neues Abenteuer zu beginnen. 

So bleibe ich nach wie vor meiner Passion treu, denn eines hat sich nie geändert: Das Gefühl, das ich immer wieder empfinde, wenn ich einen Ort entdecke, der mich an Tonda erinnert. Der Duft, die Gastfreundschaft und Offenheit, die Sonne, die Leichtigkeit und das Gefühl von Freiheit. Und meine Freude, diese Glücksmomente mit anderen zu teilen. 

Mit der Toskana und den Menschen verbindet mich seitdem ein ganz besonderes Gefühl. Ein Gefühl, das auch aufkommt, wenn ich wieder einmal lese, dass ein ganzes Dorf zum Verkauf steht. Statt verblassender Erinnerungen könnten neue Erinnerungen geschrieben werden. Gemeinsam, von Einheimischen und Gästen. 

Und vielleicht schreibt eine dieser Erinnerungen auch hier eine Lebensgeschichte neu.

Mehr erfahren

Mehr über die Geschichte von Tonda

In einem anderen Artikel erzählen wir mehr über verlassene Dörfer in Ligurien und stellen neuere Konzepte vor, diese zu erhalten.

Eines dieser Konzepte trägt den Namen Alberghi Diffuisi, über das dieser Artikel erzählt.

Anja Fischer am Tisch sitzend und schreibend

Anja Fischer

Gründerin und CEO von Glücksmomente Charmingplaces

Anja entdeckte als Reiseveranstalterin über 20 Jahre schöne Orte. Heute teilt sie nicht nur „Charmingplaces“ mit Ihnen sondern auch Insider Adressen, Geheimtipps für spannende Erlebnisse, sie kocht für Sie und erzählt Ihnen von besonderen Begegnungen und Momenten.

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Ein Kommentar

  1. Auch ich kam in den 90ern zum ersten Mal in die Toscana, nachdem mich Siglinde Fischer in Sachen Ferienhäuser detailliert beraten hatte. Siglinde Fischer war eine sehr kompetente, charmante und außergewöhnliche Persönlichkeit, die sich nicht nur telefonisch, sondern auch persönlich in Montaione und Umgebung um ihre Kunden/Gäste kümmerte. So fuhr ich zunächst mit meinen inzwischen verstorbenen Eltern, später mit vielen Freunden und Kollegen in die Umgebung von Montaione, die zu meiner zweiten Heimat wurde. Vor allem hatten es mir später Castelfalfi und das Kloster San Vivaldo angetan. Castelfalfi war damals noch in seinem ursprünglichen dörflichen, kaum bewohnten Zustand, so wie sich ein Deutscher die Toscana vorstellt. All diese Eindrücke habe ich Siglinde Fischer zu verdanken, die ich nie vergessen werde,