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Unsere Erlebnistipps in England: von Stränden, Wüsten und Robben
Es gibt Fragen in Großbritannien, die haben keine eindeutige Antwort. Streicht man auf die noch backwarmen englischen Scones zuerst die Buttercreme und dann die Konfitüre? Oder ist es umgekehrt? Die Queen mochte zuerst Konfitüre, dann Buttercreme. Doch die Geister scheiden sich, es ist eine Generationenfrage, manchmal eine regionale Angelegenheit.
Wir haben South Devon besucht, wo man dieses weltbewegende Dilemma beendet hat: Die Scones werden aufgeschnitten, auf eine Hälfte kommt die Buttercreme, auf die andere die Konfitüre. Zusammenklappen, genießen und Schluss mit der Diskussion. Es gibt aber auch noch viel mehr Gründe, um South Devon zu besuchen und wir erzählen von einigen.
England hat viele Gesichter. Eines davon schaut der Nordsee entgegen. Ein Antlitz von einer Faszination für Kenner, die keine Angst vor Wind und Wetter haben. Und für Naturbegeisterte, die Tiere lieben. Mit dem Boot geht es von hier nach Blakeney Point, um Tausenden von Robben beim Sonnenbaden zuzusehen. Nein, es ist kein organisiertes Spanner-Event, sondern die einmalige Gelegenheit, die größte Robben-Kolonie Englands zu beobachten.
Nirgendwo sonst sind die Gärten üppiger, die Wiesen saftiger und die schmucken Häuschen charakteristischer als in England. Und besonders an der Südspitze, dort wo Frankreich nur eine kurze Überfahrt mit der Fähre oder eine Fahrt durch den Eurotunnel entfernt ist, liegt Kent: „Der Garten Englands“. Ein Fest an Farben, Formen und Düften für begeisterte Gärtner. Und dann ist hier auch die größte Kieswüste Englands. Surreal, seltsam und absolut magisch. Kein Wunder, dass kontemporäre Künstler und Fotografen nach diesem Ort ganz verrückt sind. Ich auch.
South Devon: die schönsten Sandstrände Englands
Im Südwesten von England liegt South Devon mit der South Devon Area Of Outstanding Natural Beauty. Weite Wanderungen, umgeben nur vom Blöken und Muhen der Weidetiere (auf Englisch, versteht sich), schenken das Gefühl absoluter Freiheit. Nicht weit von hier wurden die Romane von Rosamunde Pilcher verfilmt. Die raue Romantik der Landschaft und des Klimas inspirieren auch manche Spaziergänger dazu, jetzt einen Liebesroman zu schreiben.
Hoch aufragende Klippen, verlassene Sandstrände und ein Meer, das jeden Tag die Farbe ändert, machen South Devon schnell zum Lieblingsort. Doch nur wenige haben das Glück, England von dieser Seite zu sehen. Die atemberaubende Schönheit der Natur wird hier nie von Touristenströmen gestört. Dabei liegen, so heißt es, die schönsten Sandstrände Großbritanniens in South Devon.
Lannacombe Beach ist einer davon. Die Ruinen der Mühle von Lannacombe erinnern daran, welche Macht die Elemente in diesem Teil der Welt haben können. So schön der Sommertag auch ist: Vor einem Besuch am Strand von Lannacombe ist es ratsam, sich im Tourismusbüro den Gezeitenkalender zu holen, denn das Meer kommt ebenso schnell wieder, wie es sich noch einige Stunden zuvor zurückgezogen hat.
Nur drei Kilometer vom Strand von Lannacombe liegt die Villa Secular Retreat, designt vom Stararchitekten Peter Zumthor. Ein idealer Ausgangspunkt, um South Devon zu entdecken oder auch nur durch die Panoramafenster vor dem Kamin die unglaublich schöne Landschaft zu bestaunen. Eine Unterkunft vor Ort ist auf jeden Fall notwendig, denn mit sperrigen Campingbussen oder gar Wohnwägen ist in der Gegend nicht viel anzufangen. Die engen, kurvigen Straßen verlangen nach dem passenden Gefährt.
Die gesamte Küste bietet sowohl östlich als auch westlich von Lannacombe weitere Strände, die auf eine andere Art als ihre mediterranen Kollegen traumhaft sind. East Portlemouth Beach, Slapton Sand/Torcross, Beesands und Gara Beach sind einige davon. Fitte Wanderer können sie alle an einem Tag erleben, denn der South West Coast Path führt in einem herausfordernden Marsch von etwa 20 Kilometern von Salcombe Estuary nach East Portlemouth.
Auf halber Strecke liegt der Leuchtturm von Start Point, von wo aus an klaren Tagen sogar die Insel von Portland am Horizont zu erkennen ist. Herrliche Wildblumen und seltene Tiere begleiten die Wanderung. Ebenso wunderbar wie anstrengend!
Zum Schlendern und Einkehren laden die malerischen Küstenstädte Kingsbridge und Salcombe ein. Und wer es gerne etwas gehobener mag, der besucht den Weinkeller Calancombe Estate für gutes Essen und einen edlen Tropfen aus der eigenen Produktion. Besondere Empfehlung gilt selbstverständlich dem Afternoon Tea. Ab 15:00 Uhr wird dieser hier mit Champagner serviert.
Der Osten von England: Norfolk
East Anglia heißt die Region zwischen Cambridgeshire, Essex, Norfolk und Suffolk. Die zahlreichen menschengemachten Kanäle haben der Gegend von East Anglia auch den Namen „Venedig Englands“ eingebracht. Dabei liegen diese hier nicht mitten in einer Stadt, sondern durchziehen märchenhaft schöne Landschaften.
Atemberaubend sind auch die einsamen Küsten. Kilometerweit reicht der Blick über Sand und Dünen, die Gräser werden vom Wind gekämmt. Kein Wunder, dass sich die Küste von Norfolk den Titel AONB (Area Of Outstanding Natural Beauty) verdient hat. Herausragende Schönheit: Keine Bezeichnung könnte dafür treffender sein. Glücklicherweise sehen das nicht nur meine Augen als Laie so.
Auch der National Trust hält mit mehreren Naturschutzgebieten seine schützende Hand über diese Wunder der Natur in der Region. Und gibt damit den Besuchern die Möglichkeit, einen Blick auch auf deren Bewohner zu erhaschen. Es ist von einer etwas anderen Sorte Engländern die Rede. Im Naturschutzgebiet Blakeney Point ist nämlich die größte Robben-Kolonie Großbritanniens heimisch. Etwa 4.000 Jungtiere werden hier jedes Jahr geboren.
Die beste Art, um diese Tiere zu beobachten, ist vom Boot aus. Familiengeführte Unternehmen nehmen Naturbegeisterte mit auf diesen einmaligen Ausflug. Seit über 80 Jahren sind einige von ihnen schon im Geschäft und der Besuch bei den Robben ist so beliebt, dass eine Vorausbuchung immer notwendig ist. Von Morston Quay geht es mit Beans Boats sogar das ganze Jahr über auf die Nordsee zur Robbenbeobachtung. Warme Kleidung nicht vergessen!
Bishop’s Boats fährt nur den Sommer über, dafür sind die Boote kleiner, charakteristischer und aus Holz. Auch viele andere Familienunternehmen bieten Ausflüge zu den Robben von Blakeney Point an. Einige von ihnen sind auf Journalismus und andere auf Familien spezialisiert. Manch einer feiert sogar den Junggesellenabschied mit Blick auf die unbeeindruckten Robben.
Ob Party oder Familienidylle: Mit Platz für zehn Gäste ist Long House von Living Architecture ein idealer Stützpunkt für die Abenteuer in Norfolk.
Dungeness in Kent: Wüsten und Gärten
Ja, im grünen England gibt es eine Wüste. Gerade in Kent, einer Region, die „Der Garten Englands“ genannt wird, liegt Dungeness. Das größte Kiesfeld Europas ist offiziell als Wüste klassifiziert und besticht mit einer Mondlandschaft, wie wir sie eher im wilden Westen der Vereinigten Staaten von Amerika vermuten würden.
Es sieht hier so anders aus, als wir es sonst von den Küstenorten Englands mit ihrem üppigen Grün und den schmucken Städtchen gewöhnt sind. Karg, unwirtlich und trocken. Dabei ist Dungeness ein Naturschutzgebiet direkt am Meer, in dem über 600 Arten von seltenen Tieren und Pflanzen heimisch sind. Es gilt nur, die Augen nach ihnen offenzuhalten.
Verlassene Bahnschienen und das Atomkraftwerk, das am Horizont mit industriellem Charme seinen bedrohlichen Beitrag leistet, sind ein krasser Stilbruch.
Der alte Leuchtturm, mittlerweile weiter im Landesinneren, weil das Meer sich an dieser Stelle Englands immer mehr zurückzieht, gilt als Sehenswürdigkeit. Der Ausblick von oben ist atemberaubend, gleichzeitig gibt es viel über Leuchttürme zu erfahren. Und sogar Hochzeiten werden organisiert.
Alles ist seltsam hier und passt doch irgendwie zusammen. Längst vergangene Zeiten, in denen Industrie und Fischfang gediehen, sind vorbei. Jetzt blühen nur noch die hartnäckigen Pflanzen, die Wind, Wetter und Dürre trotzen. Ein Besuch an diesem surrealen Ort in Dungeness bleibt ein Leben lang im Gedächtnis – aber nicht nur dort. Auch auf Fotos ist die Kieswüste der Halbinsel von Kent der Renner. Ein idealer Ort für Fotoshootings, bei dem Hintergrund, Requisiten und Licht immer stimmen.
Die Faszination der englischen Landschaft mit Wild West-Charme erkannte auch der britische Regisseur Derek Jarman. Er zog sich hierher in den letzten Jahren seines Lebens zurück. Die ehemalige Fischerhütte, in der er bis zu seinem Tod im Jahr 1994 wohnte, wurde zur Ikone für moderne Kunst. Die Tate Modern Gallery in London hat dem Prospect Cottage und seinem Garten bereits eine eigene Ausstellung gewidmet. Wer herkommt, versteht sofort warum.
Ebenfalls von den Fischerhütten inspiriert, die inmitten von verlassenen Booten und mutiger Vegetation in der Wüste stehen, ist das Shingle House von Living Architecture. Eine einmalige Gelegenheit, in diesem Ferienhaus die Kieswüste von Kent zu allen Tageszeiten kennenzulernen und ihre scheuen Bewohner zu beobachten. Es ist eine privilegierte Lage der anderen Art.
So weltfern Dungeness auch scheinen mag: London liegt nur 150 Kilometer entfernt. In Luftlinie sind es nur 40 Kilometer bis nach Frankreich, das auf der anderen Seite des Channel liegt. Eigentlich ein Katzensprung für alle, die vom Festland kommen. Und der Weg ist das Ziel. Romney Marsh heißt die Gegend zwischen Dover und Dungeness. Ein Feuchtgebiet, das für seine traumhaft schöne Landschaft, die Schafzucht und die Kirchen bekannt ist. Letztere überraschen durch ihre architektonische Vielfalt und einige von ihnen gehören sogar zu den schönsten in England.
Die Grafschaft Kent ist aber auch, wie bereits erwähnt, die Region der Gärten. Und was für Gärten! Ich könnte schwören, hier Sonnenblumen so groß wie Wagenräder gesehen zu haben. Aber wer würde mir schon Glauben schenken?
Wer sich selbst ein Bild machen will, der besucht Great Dixter House & Gardens. Die Häuser aus dem 15. Jahrhundert nehmen mit auf eine Zeitreise und die Gärten machen auch Stadtkinder zu Naturverliebten.
Wenn der Wunsch, selbst so einen prächtigen Garten zu haben übermächtig wird, gibt es hier eine Gärtnerei zum Pflanzen-Shopping. Im The Loggia Café liegt der Schwerpunkt auf hausgemachten vegetarischen und veganen lokalen Köstlichkeiten, umgeben von Blumen, Bienen und guter Laune.
Facettenreiches England
Was Großbritannien so faszinierend macht, sind die Kontraste. Industrie und Naturwunder, Moderne und Royal Family, Tradition und Weltoffenheit. Kaum einer kann sich dieser Faszination entziehen. Und Fish & Chips ist und bleibt ein Welthit.
Lydia Stöflmayr
Texterin & Autorin
Lydia ist freie Texterin, Autorin und Dolmetscherin. Sie liebt es, neue Sprachen, Kulturen und Mentalitäten kennenzulernen. Dabei spielt Sprache eine wesentliche Rolle und eben vor allem die richtigen Worte zu finden. Diese Aufgabe hat sie zu ihrer Profession gemacht.
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