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Erbauliches Bauen: Buchtipp „Glück und Architektur“ von Alain de Botton

Buchtipp Architektur - Alain de Botton

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Buchtipp Architektur: Eine philosophische Reise durch die Kunstgeschichte auf den Spuren gebauten Glücks

Header-Bild: S. Fischer Verlage

Als Gründer der Non-Profit-Organisation Living Architecture ermöglicht Alain de Botton schöneres Urlauben in von Stararchitekten gestalteten Ferienhäusern. Drei Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches „The Architecture of Happiness“ ließ der Schriftsteller und Philosoph seinen Worten Taten folgen. Um seinen britischen Landsleuten die glücksfördernden Qualitäten zeitgenössischer Wohnarchitektur nahezubringen, entstanden in seinem Auftrag ab 2010 acht außergewöhnliche Feriendomizile.

Lesen Sie, welche philosophischen Fragen zu unserem Charmingplace Living Architecture führten – und lassen Sie sich einladen, das Verhältnis zwischen Wohnen und Wohlbefinden zu erforschen.

Der schöne Schein

Architektur habe wesentlichen Einfluss auf unsere Gefühlslage und unser Selbstbild, sagt Alain de Botton. Der in der Schweiz geborene Wahl-Londoner hat mit „Glück und Architektur“ eine Liebeserklärung an die Baukunst verfasst, die auch als Streitschrift für Schönheit verstanden werden kann.

Denn sucht man das Glück in der Architektur, kommt man an der Schönheit nicht vorbei. Schönheit ist ein unbestimmter Begriff, der schon immer eine große Streitfrage der Philosophie war und sich als Bezugsgröße persönlichen Empfindens wohl weiterhin einer allgemeingültigen Definition entzieht. Auch de Botton gelingt es schlussendlich nicht, diese klar zu formulieren.

Dennoch ist sein Buch, in dem er seine Thesen als Sammlung einzelner Essays präsentiert, lesenswert. Allein schon deshalb, weil der Autor geradezu im Plauderton zu einer Debatte beiträgt, die in Architektur-Fachkreisen lange mit vehementer Rigidität geführt wurde – fernab der Lebensrealität und des Vokabulars der Rezipienten. Um dieses Buch über Architektur zu lesen, muss man sie nicht studiert haben. Alain de Botton holt das Thema mit sprachlicher Leichtigkeit dahin zurück, wo es hingehört: in die Wohnzimmer.

Zunächst einmal in Form eines ansehnlichen, auf 280 Seiten reichhaltig bebilderten Exemplars der Buchdruckkunst – als schönes Objekt für den Sofatisch. Dann als subjektive Empfindung: Gleich zu Beginn des Buches betreten wir ein Gebäude, das dank de Bottons bildhafter Sprache deutlich vor unserem geistigen Auge entsteht. Wir tauchen in die unprätentiöse Atmosphäre eines einfachen Reihenhauses ein. Gekonnt lenkt der Autor unseren Blick auf die alltäglichen Dinge, in denen sich (häufig unbemerkt) Schönheit verbirgt. Tanzende Staubflocken im Sonnenlicht; die Patina alter Steinfliesen; ein Dachfenster, durch das sich das Spiel der Wolken beobachten lässt. Beim Lesen der ersten Seiten breitet sich in mir ein Gefühl von Behaglichkeit aus.

Bevor de Botton seine Überlegungen mithilfe von erhellenden Exkursen in die Geschichte der Architektur und Ästhetik darlegt, weist er auf etwas ganz Elementares hin. Schönheit ist nicht nur eine Sache guter Gestaltung oder des Geschmacks, sondern zuallererst der Sensibilität und – besonders in Bezug auf Architektur – der Empfänglichkeit von Stimmungen.

So lässt es sich anhand eigener Erfahrungen sicherlich nachvollziehen, wenn er die Erkenntnisse der Architekturpsychologie in einem Satz zusammenfasst: „In einem hässlichen Raum wird jeder noch so leise Verdacht betreffs eines Mangels in unserem Leben Gestalt annehmen, während ein sonnenhelles Zimmer mit honigfarbenen Sandsteinfliesen alle hoffnungsfrohen Empfindungen in uns stärkt.“ Das Schöne, stellt Kant mit Recht fest, bringt die Gemütskräfte in Bewegung.

Schönheitsempfinden setzt außer einem gewissen Maß an Bewusstheit die Fähigkeit zur Resonanz und affektiver Teilnahme voraus. Nur so lässt sich erklären, warum die emotionale Wirkung von Architektur keine verlässliche Konstante und die Wahrnehmung von Raumstimmungen individuell verschieden ist. Ist man traurig, wütend oder gestresst, schwindet die Empfänglichkeit für das Schöne. Wir verschließen unser Herz, mit dem wir – wie schon Antoine de Saint-Exupéry wusste – besonders gut sehen, denn: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Trautes Heim, Glück allein?

Trotz de Bottons überzeugten Engagements für die Baukultur muss er dann auch Folgendes einräumen: „Da von der Architektur eine Wirkung ausgeht, die ebenso unzuverlässig wie oft auch unerklärlich ist, wird sie stets schlecht abschneiden, wenn man einen nützlicheren Umgang mit den Ressourcen der Menschheit verlangt. […] Schöner Architektur fehlen die zweifelsfreien Vorzüge eines neuen Impfstoffes oder einer Schale Reis. […] Schöne Häuser scheitern nicht nur als Garanten des Glücks, sie müssen sich auch vorwerfen lassen, dass es ihnen durchaus nicht immer gelingt, den Charakter ihrer Bewohner zu verbessern.“

Es reicht also nicht aus, unser Heil in der äußeren Gestalt zu suchen. Selbst wenn es gelänge, einen verbindlichen zeitgenössischen Formenkanon zu finden, selbst wenn die Architektur dem Schönen neben dem Zweckmäßigen wieder eine eigenständige Bedeutung (und ein angemessenes Budget) beimessen würde – Glück erfordert eine innere Haltung. Wahre Schönheit kommt von innen, sagt man, wenn es um die charakterlichen Vorzüge einer Person geht. Platon definierte das Schöne als das Herausscheinendste. Vielleicht kann auch die Schönheit in den Dingen nur herausscheinen, wenn sie die Menschen aus ihrem Inneren heraus wahrnehmen.

Die Schönheitsdebatte findet da einen Konsens, wo Erscheinungen unsere innere Natur ansprechen; unabhängig von kultureller Prägung oder ästhetischer Bildung. Niemand bestreitet beispielsweise die Schönheit eines Sonnenuntergangs über dem Meer. Es fällt schwer, uns der Wirkung von Naturphänomenen zu entziehen und es fällt inmitten der Natur viel leichter, uns in eine „ästhetische Kontemplation“ nach Schopenhauer zu begeben.

Im Spannungsfeld zwischen Kultur und Natur

Und so verwundert es nicht, dass sich fast alle der von Alain de Botton initiierten Ferienhäuser auf dem Land befinden, wo die Architektur mit der Natur in den Dialog treten kann. Überhaupt scheinen sich in den Bauwerken die Thesen seines Buches zu manifestieren. So rechnet er Balance zu den „Tugenden von Gebäuden“ und schreibt: „Schönheit zählt zu den möglichen Resultaten, wenn Architekten zwischen einer Vielzahl von Gegensätzen vermitteln, dem Alten und dem Neuen etwa, dem Natürlichen und dem von Menschenhand Geschaffenen, zwischen Luxuriösem und Schlichtem, Männlichem und Weiblichem.“

Das erste für Living Architecture realisierte Projekt nennt sich Balancing Barn – der Name ist Programm. Der 30 Meter lange Riegel in Form eines überstreckten Ur-Hauses schiebt sich über eine Böschung und schwebt zur Hälfte frei in der Luft. Mit einer Verkleidung aus polierten Aluminiumplatten und dem konsequenten Verzicht auf dekorative Details tritt das niederländische Architekturbüro MVRDV dem nostalgischen Stereotyp des britischen Cottage entgegen, indem es lokale Bauweisen radikal neu interpretiert und einen spannungsvollen Kontrast zur lieblichen Landschaft bietet.

Gewohnt feinfühlig ging hingegen der Schweizer Architekt Peter Zumthor zu Werke, dessen Secular Retreat nahtlos mit der Umgebung verschmilzt. Zumthor versteht es als seine besondere Begabung, Orte zu erspüren und ihre charakteristische Stimmung in seiner Architektur widerzuspiegeln. Während die Balancing Barn vom Kontrast lebt, geht Zumthors Gebäude eine Symbiose mit der Natur ein. Die Gebäudeform ergibt sich aus der Ausrichtung der Räume zu den Ausblicken in die hügelige Landschaft Devonshires, zum Licht und Wind. Seine erdverbundene Präsenz verdankt das Haus massigen Wänden aus gestampftem Beton, während raumhohe Glasflächen die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum aufheben. Auch hier wieder das Konzept der Ausgewogenheit, das sich so wohltuend auf unser Befinden auswirkt.

„Ein Haus in Balance ist ein Versprechen auf ein ausgewogenes Leben“, resümiert de Botton in seinem Buch und findet dafür Beispiele in allen Epochen der Architekturgeschichte.

Architektur, die spricht und berührt

Die schönsten Aussagen des Autors finden sich in den Unterschriften der sorgfältig ausgewählten Bildbeispiele, auch wenn hier die Subjektivität seiner Betrachtungen am deutlichsten wird. Nicht immer haben die Bilder bei mir den beabsichtigten Effekt ausgelöst – was wiederum Stendhals Aussage bekräftigt, dass es so viele Arten von Schönheit wie Visionen der Freude gibt.

Wie viele Philosophen der Gegenwart zitiert auch Alain de Botton gerne Stendhals Aperçu „Die Schönheit ist nur ein Versprechen des Glücks“, um sich gegen die Entzweiung von Schönheit und Leben in der modernen Ästhetik zu wenden. „Unser Gefühl für Schönheit und unsere Vorstellung von einem guten Leben sind miteinander verwoben“, meint de Botton und folgert, dass wir diejenigen Gebäude schön finden, die unsere ethischen Ideale zum Ausdruck bringen.

Im Kapitel „Sprechende Gebäude“ finden sich die unterhaltsamsten Passagen des Buches. Mit Empathie und Esprit charakterisiert de Botton nicht nur bespielhafte Bauten, sondern macht auch vor der Personifizierung von Wasserhähnen nicht halt. „Die Dinge, die wir schön nennen, sind Spielarten der Menschen, die wir lieben“, führt er den Gedanken fort und erklärt so manchen Beziehungskonflikt bei der Einrichtung des gemeinsamen Zuhauses.

Es ist mehr als plausibel, dass wir unserem inneren Streben im Äußeren Ausdruck verleihen möchten. Bewusst oder unbewusst gestalten wir unsere Umgebung so, dass sie zu uns spricht – dass sie uns sagt, was wir wichtig finden und woran wir erinnert werden sollten. Nach dem Prinzip der Balance versuchen wir auf diesem Wege, eigene Unzulänglichkeiten auszugleichen. Gerade im Zeitalter des ikonischen Bauens, des Errichtens spektakulärer Landmarks, dürfen wir uns deshalb fragen, welche Werte diese Gebäude der Superlative verkörpern und was sie über uns selbst und die Gesellschaft aussagen.

Buchtipp Architektur

Erschienen im S. Fischer Verlag

4. Edition (1. März 2010)

288 Seiten
Taschenbuch
16 x 2.2 x 21 cm

ISBN 978-3596175062

Glück und Architektur: Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein

Foto: S. Fischer Verlage

Über Alain de Botton, den Autor des Buches

Alain de Botton, 1969 in der Schweiz geboren, lebt in London. Kosmopolit und fantasievoller Flaneur der Kultur- und Geistesgeschichte, arbeitet er an einer Philosophie unseres Alltagslebens, das er in all seinen Aspekten untersuchte: ›Versuch über die Liebe‹, › Wie Proust Ihr Leben verändern kann‹, ›Trost der Philosophie‹, ›Kunst des Reisens‹ und ›Freunden und Mühen der Arbeit‹ heißen seine Bücher. Daneben gründete er in London die »School of Life« und »Living Architecture«. Seine Bücher und Fernsehserien wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Prix Européen de L’Essai »Charles Veillon«.


Mareike Dietrich

Textgestalterin – Autorin

Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.

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