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Was trieb die Walser in diese „wilden Höhen“? Das ist nach wie vor nicht restlos geklärt.
Fest steht, dass es im Hochmittelalter in Europa zu einem starken Bevölkerungswachstum kam. Auch im Alpenraum musste neues Kulturland gewonnen werden. So zogen alemannische Bauern aus dem überbevölkerten Oberwallis über die Gebirgspässe, um als freie Vasallen die Herrschaftsansprüche ihrer Feudalherren auszudehnen. Als Gegenleistung für die Rodung und Bearbeitung des neuen Landes sowie die Verpflichtung zu Kriegsdiensten bekamen die Pioniere rechtliche Eigenständigkeit, persönliche Freiheit sowie die freie Erbleihe von Grund und Boden verliehen – das sogenannte Walserrecht. Ein attraktives Angebot!
Auf ihren Wanderzügen Richtung Osten gelangten einzelne Walsergruppen bis nach Graubünden, Liechtenstein und ins österreichische Vorarlberg. Heute verteilen sich im gesamten Alpenbogen auf rund 300 km Länge noch etwa 150 Walsersiedlungen.
Man spricht deutsch
Begeben wir uns auf Zeitreise ins Schanfigg! Ein Abschnitt des 23 Etappen umfassenden Walserwegs in Graubünden bringt uns das kulturelle Erbe der einstigen Zuwanderer näher. Entlang des Weges treffen wir auf ihre Nachfahren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Sitten und Sprache der Walser zu bewahren.
Das wilde Bündner Bergtal war schon lange vor unserer Zeitrechnung besiedelt, wie archäologische Funde aus der Bronze- und Eisenzeit belegen. Im Mittelalter fanden die Walliser Einwanderer Romanen vor, die auf der Sonnenseite des Tals Viehzucht sowie vielfältigen Acker- und Obstbau betrieben.
Die deutschsprachigen Walser ließen sich auf der Nordseite nieder und blieben unter sich. Sie errichteten Streusiedlungen aus Einzelhöfen, wie sie für zerklüftete Hochlagen mit größerem Bedarf an Weideland typisch waren. Das Bewirtschaften der Wiesen und das Versorgen der Tiere bestimmten den Lebenszyklus der Walser Bergbauern. Sie zogen mit ihrem Vieh dem Futter nach: Mehrmals im Jahr wechselten sie mit ihrem gesamten Hausstand von einem Stall zum anderen.
Umringt von einst nur rätoromanisch sprechenden Nachbarn, haben die Schanfigger Walser viele Einflüsse der altalemannischen Mundarten in ihrem Dialekt bewahrt. Auf den Wegweisern lesen wir immer wieder walserische Orts- und Flurnamen: Tschuggen bedeutet beispielsweise Felskopf, Schären Alphütte. Oft begegnet uns auch die Verkleinerungsform -ji – wie bei Dörfji, dem kleinen Dorf. Das gemeinsame Spracherbe ist das identitätsstiftende Merkmal, das alle Walser über Kantons- und Landesgrenzen hinweg miteinander verbindet.
Kriterien wie Religion, Tracht, Bau- und Siedlungsweise haben sich hingegen über die Jahrhunderte regional ausgeprägt und unterscheiden sich oft nicht wesentlich von den Bräuchen anderer Alpenvölker.
Braun gebrannte Häuser, sattgrüne Wiesen
Wandern wir nun vom städtischen Arosa über die grünen Alpweiden Richtung Langwies, kommen wir gleich durch mehrere Walsersiedlungen. Ihre sonnenverbrannten Holzhäuser sind akkurat in der Falllinie des Hanges aufgereiht. Dank ihrer geschickten Anordnung und Formgebung bieten die schmalen Langbauten nur eine geringe Angriffsfläche für Lawinen. Dennoch fielen im Laufe der Jahrhunderte zahllose Gebäude den Schneemassen zum Opfer.
Charakteristisch für die Bündner Walserhäuser ist eine Blockbauweise aus Rund- oder Kanthölzern, welche an den Ecken verstrickt – also kreuzweise verschränkt – sind. Bis auf den aus Natursteinen gemauerten Sockel und Kamin sind die Wohnhäuser komplett aus Lärchenholz gefertigt, ebenso die Schöpfe und Ställe. Zwar wurden bereits viele der ehemals mit Steinen beschwerten Holzschindeldächer durch moderne Eindeckungen ersetzt. Inzwischen sorgen jedoch Vorschriften dafür, dass die das Landschaftsbild prägenden Bauten möglichst originalgetreu erhalten bleiben.
Die letzten Siedler in Sapün
Das auf 2000 m gelegene Alpgebiet Medergen war wie die Schanfigger Seitentäler Sapün und Fondei noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts sommers wie winters bewohnt. Zeitweise lebten in den Hochdörfern mehr Menschen als im Talort Langwies; es gab in Sapün Dörfji sogar eine eigene Schule und Post.
Das dreistöckige Post-Huus ist ein besonders sehenswertes Beispiel der Walser Architektur. An seiner reich verzierten Fassade sind die in Graubünden häufig anzutreffenden Hausinschriften zu bewundern. Meist wurden Segenssprüche eingekerbt, aber es finden sich auch Verweise auf das Baujahr, den Bauherren und Initialen der Handwerker.
Heute ist das einzige ganzjährig bewohnte Gebäude im Tal das Berg-Hotel Heimeli im Weiler Jatz (1831 m). Das 1707 errichtete Walserhaus liegt am historisch wichtigen Saumweg über den Strelapass nach Davos. Es steht Tages- und Übernachtungsgästen zu jeder Jahreszeit offen: Im Winter wird der Zugangsweg zum Heimeli präpariert und lässt sich nach kulinarischen Gaumenfreuden beschwingt hinabschlitteln. Der Abstecher vom Walserweg ins hintere Sapüner Tal lohnt sich: Gabriella und René Pahud haben das über 300-jährige Walserhaus 2017 übernommen und mit viel Liebe zum historischen Detail sanft modernisiert. Sie möchten im Berggasthaus Heimeli Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Einklang bringen und gesellige Begegnungen zwischen Gästen und Einheimischen ermöglichen.
Ein solcher Begegnungsort ist auch das Kulturhuus Schanfigg in Langwies, das im ehemaligen Schulhaus eingerichtet wurde. Der Verein pflegt und fördert die ursprüngliche Kultur des Schanfigg in ihrer traditionellen und zeitgenössischen Form. Hier finden regelmäßige Veranstaltungen wie Vorträge, Lesungen, Filmabende und Ausstellungen statt. Zudem beheimatet das Kulturhuus das Kulturarchiv und eine Leihbibliothek mit alpiner Literatur.
Langwies ist die Endstation unserer Wanderetappe auf dem Wäg zun dä Walser. Das heute rund 300 Einwohner zählende Dorf war früher nur einsamer Standort der 1384 errichteten Kapelle. Hier trafen sich die Bauern und Säumer aus den höher gelegenen Streusiedlungen zum sonntäglichen Kirchgang. Heute gibt es in Langwies noch etwa 10 Bergbauernbetriebe, die ihre Produkte in eigenen Hofläden und im Dorfladen anbieten.
Weitwandern wie die Walser
Wer nun noch weiter auf den Spuren der Walser wandern möchte, dem sei wärmstens der im Schweizer Rotpunkt Verlag erschienene Wanderführer von Irene Schuler empfohlen. Der von der Autorin iniitierte Walserweg Graubünden, durchgängig markiert mit der Nummer 35, beginnt in San Bernardino und endet nach rund 300 Kilometern und 23 Etappen in Brand im Vorarlberger Brandnertal.
Er führt durch alle wesentlichen Orte, die von Walsern gegründet oder geprägt wurden. Neben Wegbeschreibungen und Routenskizzen enthält das reichhaltig bebilderte Buch vertiefende Hintergrundinformationen zur Geschichte und Kultur der Walser in Graubünden.
Hier gibt’s den Wanderführer:
Erschienen im Rotpunkt Verlag
4. Auflage 2020
320 Seiten
Mit Farbfotos, Routenskizzen und Serviceteil
ISBN 978-3-85869-899-5
Mareike Dietrich
Textgestalterin – Autorin
Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.
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