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Renaissance is over? Street Art in Florenz

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In Florenz, der Geburtsstadt der Renaissance, wo einst Botticelli, Leonardo da Vinci und Michelangelo eine Neuausrichtung des Welt- und Menschenbilds anregten, stellen heute Street-Art-Künstler aktuelle Wertvorstellungen infrage. Ihre teils illegal angebrachten Werke kritisieren häufig die Kommerz- und Konsumgesellschaft, deren Anfänge womöglich sogar auf das blühende Bank- und Kaufmannswesen zu Zeiten der Medici zurückzuführen sind.

Entgegen den musealen Kunstschätzen dieser Epoche ist ihre meist nichtkommerzielle Kunst im öffentlichen Raum allen Menschen zugänglich – unabhängig von Bildung und Einkommen. Keith Haring, der mit seinen New Yorker Subway Drawings die heutige Street-Art-Bewegung maßgeblich beeinflusste, hat dies so formuliert: „The public has a right to art. The public is being ignored by most contemporary artists. Art is for everybody.“ (Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Kunst. Die Öffentlichkeit wird von den meisten zeitgenössischen Künstlern ignoriert. Kunst ist für alle da.)

Auch wenn bereits Werke bekannter Street Artists hochpreisig versteigert werden und die Werbung ihre Ausdrucksmittel längst für sich entdeckt hat – Street Art ist ursprünglich eine Kunst für den Augenblick, nicht für den bleibenden Wert. In den Straßen von Florenz zeigen Hauswände und Mauern, Stromkästen und Laternen, Verkehrsschilder und Ampeln ständig ein anderes Bild. Die gesprayten oder applizierten Artworks halten dem Wetter nicht stand, verblassen, werden entfernt, übermalt oder überklebt. Eine gewollte Vergänglichkeit: Florentiner Künstler wie Clet oder Blub nutzen absichtlich reversible Materialien, wie zum Beispiel Aufkleber oder Poster. Ihre Arbeiten existieren später nur noch als Fotos im Internet.

Blub: Sein Pseudonym ist Programm

Beginnen wir die Vorstellungsrunde der Florentiner Street Artists mit dem anonymen Künstler alias Blub. Seine mit Kleister aufgebrachten Plakate (Paste-Ups) nehmen direkten Bezug auf die italienische Renaissancekunst. „L’arte sa nuotare“ (Kunst kann schwimmen) heißt die Serie des Künstlers, bei der er ikonische Porträts abmalt und den Personen Schnorchelmasken aufsetzt. Ob Botticellis Venus, Dante Alighieri, Michelangelos David, Leonardos Dame mit dem Hermelin oder Mona Lisa – alle sind unter Wasser dargestellt. Warum? Nach Aussage des Künstlers symbolisiert die Taucherbrille unsere Fähigkeit, Krisen bewältigen zu können. Auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht.

Blub kopiert Gemälde oder portraitiert Personen, die tief im kollektiven Bewusstsein verankert sind. Er spannt damit einen inhaltlichen und zeitlichen Bogen zu den Anfängen der Straßenmalerei, die – Zufall oder nicht – im Italien des 16. Jahrhunderts vermutet werden. Auf den Wegen religiöser Prozessionen sollen damals die ersten Marienbildnisse aus Kreide entstanden sein. Noch heute bemalen die „Madonnari“ für Hutgeld die Straßen von Florenz.

LeDiesis: Superheldinnen der Straßenkunst

In den letzten drei Jahren wurden die Paste-Ups des Künstlerinnen-Duos LeDiesis zu einem Aushängeschild der zuvor eher männlich dominierten Florentiner Street-Art-Szene. Anlässlich des International Women’s Day 2019 kündigten die inkognito agierenden Frauen auf Instagram an, Porträts von acht Superwomen auf blinden Fenstern in der ganzen Stadt zu verteilen. Ähnlich wie bei Blub haben alle Bildnisse der Serie ein verbindendes Element: Auf der Brust der realen und fiktiven Heldinnen wie Frida Kahlo, Prinzessin Leia, Nofretete und der Braut aus Kill Bill prangt das rot-gelbe Superman-Logo.

Ein Spiel mit den Geschlechterrollen, das die porträtierten Damen mit einem verschmitzten Zwinkern quittieren. Die von LeDiesis ausgewählten Protagonistinnen sind in ihren Worten „freie und aufgeklärte Frauen, die eine positive Botschaft des persönlichen Wachstums senden und das spirituelle Wachstum unserer Gesellschaften fördern.“ Seitdem zieren immer neue Superwomen die historischen Fassaden von Florenz – etwa Greta Thunberg – aber auch Supermen wie die ermordeten Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.

Exit Enter: Die Botschaften des kleinen Mannes

Mit leichter Hand dahin gesprayt, aber inhaltlich und formal auf den Punkt gebracht, sind die Graffitis des anonymen Künstlers K. Er verbindet ein reduziertes Bildrepertoire, wie seine charakteristischen Strichmännchen, Luftballons, Herzen und Blumen, mit kurzen, meist gesellschaftskritischen Textbotschaften. Neben der Signatur K. kennzeichnet der Florentiner Street Artist seine Werke häufig mit dem Projektnamen Exit Enter.

Sein Drang, nachts auf die Straßen zu gehen und zu sprühen, entstand aus einer persönlichen Krise. Für ihn ist Kreativität therapeutisch und so steht Exit Enter für das Verlassen einer Gefühlswelt und das Eintreten in eine neue. K. hat es immer vermieden, an den historischen und sauberen Mauern der Stadt zu intervenieren. Er bevorzugt Eingriffe an kleineren Bauteilen, die er oftmals geschickt in seine Bildkomposition integriert. Größere Werke, die nicht als Auftragsarbeit entstanden sind, findet man an verlassenen Gebäuden, Brücken oder Bauzäunen. Zur Bedeutung der Illegalität in der Street Art äußert er sich folgendermaßen: „Wer kritisieren will, muss eine in Auftrag gegebene Wand von illegal gemachter Street Art unterscheiden können. Letztere ist das Reinste.“

Graffitis und Murals, die Fresken der Moderne

2016 hat der Stadtrat von Florenz beschlossen, das Verbot der freien Street Art aufzuheben und regulierte Formen davon zu fördern – in Anerkennung dieser kreativen Ausdrucksform als Kommunikationsmittel zur Verbreitung wichtiger Themen. Es wurden 53 Projekträume aufgelistet, in denen jeder frei und ohne Kontrolle malen kann. Eine Übersicht der Street-Art-Hotspots und eine Vorstellung der wichtigsten Werke und Künstler ist im Blog der Leonardo Da Vinci Art School zu finden. Für eine selbstorganisierte Besichtigungstour empfiehlt sich die Street Art Karte Florenz, die in Google Maps Standort, Fotos und Beschreibung der Kunstwerke bereitstellt.

Auch die Seite firenzestreetart.com enthält eine Karte und die Biografien ausgewählter Akteure. Beide leiten uns zur Bahnunterführung Sottopasso delle Cure, deren geballtes Kunstpotential für einen Crashkurs in Sachen Street Art bereits völlig ausreicht. Hier sind unter anderem Arbeiten von Hopnn zu bewundern, der sonst vor allem im Stadtviertel San Niccolò tätig ist. Seine großformatigen, schwarz-weiß-roten Paste-Ups sind ökologisch motiviert und fordern plakativ die Verkehrswende vom Auto zum Fahrrad.

Nicht unerwähnt sollen auch die großen Wallpaintings – Murals – bleiben, die das Stadtbild von Florenz zunehmend prägen. Die berühmten Kirchenfresken der Renaissance haben moderne Konkurrenz bekommen. Sicherlich einen Besuch wert ist der Nelson Mandela von Jorit an der Piazza Pietro Leopoldo, mit 126 qm Fläche eines der größten Wandgemälde in Florenz. Als Kontrastprogramm zu Jorits naturalistischem Stil bietet sich das erst kürzlich fertiggestellte „I got you“ von Millo an der Fassade des Kulturzentrums für minderjährige Einwanderer im Stadtteil Scandicci an. Sein illustratives Mural thematisiert wichtige Werte wie Vertrauen und gemeinschaftlichen Zusammenhalt. 

Unsere Street-Art-Tour durch Florenz, der Hauptstadt der Toskana, endet mit einem…

Extra-Tipp: Clet und Crema Fiorentina

Kunstgenuss unter freiem Himmel hat außer der Bewegung an frischer Luft noch weitere Vorteile. Lässt sich beim Flanieren doch ungehindert ein leckeres Eis schlecken. In der Renaissance wurde tatsächlich auch die Eiscreme erfunden. Dem Architekten Bernardo Buontalenti und Koch Procopio Coltelli verdanken die Florentiner die Crema Fiorentina: ein Eis das aus Milch, Eigelb, Honig und einem Schuss Wein besteht und mit Bergamotte, kandierten Orangen und Zitronen verfeinert wird.

Am besten kauft man es in der traditionellen Gelateria Vivoli in der Via Isola delle Stinche und begibt sich auf Entdeckungstour nach Clet Abrahams mit Stickern umgestalteten Verkehrsschildern. Seine humorvollen Interventionen regen zum Nachdenken über die öffentliche Ordnung und gesellschaftliche Konventionen an. In seinem Atelier in der Via dell’Olmo 8 im Viertel San Niccolo findet sich bestimmt noch ein Souvenir, um ein Stück Florentiner Street Art mit nach Hause zu nehmen.

Mareike Dietrich

Textgestalterin – Autorin

Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.

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