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Der Sternekoch, der (k)einer sein will

Medientipp Tim Raue

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Illustration: Burak Eser

Folgende Anekdote gab ein Freund von mir gerne zum Besten, wann auch immer es um Sterneküche oder Status ging: Tim Raue besucht mit seiner damaligen Freundin Marie ein Restaurant von Sternekoch Alain Ducasse. Damals, mit Mitte 20, hat sich der junge Tim Raue für den Besuch 1500 Mark zusammengespart, sieht aber nicht aus wie einer, der sich diesen kulinarischen Ausflug leisten kann, weshalb der Oberkellner das Paar in einen hinteren Winkel des Restaurants, quasi dem Toilettenflur, platziert. Tim Raue und seine Begleitung bestellen jedoch teuren Wein (ungefähr 400 Mark die Flasche) und à la carte (zwischen 80 und 120 Mark je Gericht). Sofort eilen der Oberkellner samt Sommelier herbei und setzten die beiden an einen guten Platz, vorne im Restaurant, direkt am Fenster.

Dass dies wohl tatsächlich so passiert ist, lässt sich im ZEIT Podcast „Alles gesagt“ im Gespräch mit Tim Raue nachhören (ab Minute 36). Die erste Schlussfolgerung aus dieser Erzählung ist, dass in gewissen Restaurants der Service wohl nur durch äußeres Erscheinen urteilt, wie sie ihre Gäste behandeln – dass dieser Eindruck aber täuschen kann. Mein zweiter Gedanke war jedoch, dass die Anekdote genau das repräsentiert, was man sich von Tim Raue wünscht.

Wir lieben Aufsteiger-Geschichten. Tim Raue als Bandenmitglied aus Kreuzberg, der als Kind unter dem Missbrauch seines Vaters litt, sich aber schließlich in die Top 50 der besten Restaurants weltweit kochte. In Raues Biographie wimmelt es nur so von Hindernissen, die er nur überwunden hat, indem er sich stets bewies. Ob mit der Bestellung einer 400 Mark Weinflasche oder seinen Kochkünsten.

Glaubt man, dass die Öffentlichkeit diese Geschichten spannend findet, könnte man Tim Raue unterstellen, diese aus Marketing Gründen so zugänglich zu machen, wie er es in Interviews immer wieder tat. Jedoch ist die Person Tim Raue, sofern man ihn in diesen Aufzeichnungen kennenlernen kann, viel mehr als das. Oft erscheinen seine pedantischen Aussagen snobistisch, sein Ehrgeiz egozentrisch und sein Selbstbewusstsein unsympathisch.

Ich verstehe, warum das so ist. Tim Raue macht keinen Hehl aus seiner Geschichte. Weder aus seinen Erfahrungen, noch auf seinem Erfolg ruht sich der Koch aus. Fleiß und Disziplin, das seien die Faktoren, betont Tim Raue immer wieder. Von Talent, gar einer Gabe oder Chancen ist eigentlich nie die Rede. Stattdessen glaubt er an Bildung und ein bestimmtes Umfeld, das Menschen anhält, bestimmte Tugenden an den Tag zu legen. Tim Raue ist ein Aufsteiger, aber nicht so einer, wie wir ihn gerne hätten.

Dabei könnten wir viel von ihm lernen. Tim Raue ist sehr klar, was seine Person und seine Arbeit angeht. Er weiß was er will. Und er hält sich nicht mit gesellschaftlichen Annehmlichkeiten auf, um das zu leben. Ob man die öffentliche Person Tim Raue nun mag oder nicht – zumindest entsteht der Eindruck, dass man einem echten Menschen zuhört, der sich im Gegensatz zu vielen anderen seine eigenen Widersprüchlichkeiten zu gesteht. Und (auch) damit bei den meisten Menschen eine große Neugier auf sein Essen auslöst.

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Ich selbst habe noch nie die Rauesche Küche probiert, kenne allerdings einige, die bereits in seinen Restaurants zu Gast waren. Deshalb habe ich eine Freundin befragt, die in seinem „Haupt“ Haus in Berlin gespeist hat, das schnörkellos Restaurant TIM RAUE heißt. Dieses beschreibt der Koch immer wieder als der hundertprozentige Ausdruck seiner selbst – und das bis zum letzten Teelöffel, der in sein Konzept passt. Den Eindruck von Raues Stringenz und Prinzipientreue hatte auch meine Freundin bei ihrem Besuch. Als etwa ihr Vater nach einem Rotwein statt Weißwein zum Menü fragte, meinte der Sommelier, dass das nicht den Vorstellungen des Hauses entspreche. Wer sich bei Raue durch sowas auf den Schlips getreten fühlt, ist möglicherweise fehl am Platz.

Wer diese ehrliche Konsequenz jedoch zu schätzen weiß, würde von seinem Essen begeistert sein, meint meine Freundin. Das läge erstens daran, dass die Speisen tatsächlich absolut nicht beliebig schmecken. Zweitens sei die Aroma-Vielfalt, die man bei Raue erleben darf, tatsächlich gänzlich neu. Und drittens hätte auch die Auswahl der Speisen eine absolute Konzepttreue erkennen lassen, in diesem Fall die asiatische Färbung.

Positiv überrascht war meine Freundin von der Atmosphäre des Restaurants. Man fühle sich sehr wohl. Der Service ist offen, die Stimmung locker und familiär. Ein wenig Berlin, ein bisschen Aufbäumen gegen strenge Etikette, aber vor allem kein Sterne-Protz, der jemandem etwas beweisen will. Das hatten Tim Raue und seine Freundin, seine heutige Geschäftspartnerin, sich bei ihrem Alain Ducasse Restaurant Besuch versprochen. Dass Sie in ihrem eigenen Restaurant alle Gäste gleich behandeln würden. Das, so sagt Tim Raue in einem Interview, hätten sie sich aber erst erarbeiten müssen.

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Tim Raue am Bodensee

Auch in Konstanz kann man Tim Raue – zumindest im Kleinen – erleben, da der Koch als kulinarischer Berater für das Restaurant Brasserie Colette Tim Raue verantwortlich ist. Hier wird – wie der Name erahnen lässt – französische Küche serviert, in angenehm leichtem Flair.

Tim Raue zum anhören

Kommen wir zu meinen eigentlichen Medientipps. Diese beiden Podcast-Interviews haben mich auf den Koch aufmerksam gemacht. Voll von spannenden Geschichten, die viel über Sterneküche verraten, aber noch mehr über die Person Tim Raue.

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Mein Highlight: Überraschungsgast Tarek, dem Mustafas Gemüsekebab in Berlin gehört.

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Mein Highlight: Matze Hielscher, der Tim Raues Art (wie eigentlich jedem Interview Gast) mit so viel Feingefühl begegnet.

Tim Raue erleben

Die aktuelle (pandemiebedingte) Situation machen es noch schwerer in den Genuss von Tim Raues Essen zu kommen – das Restaurant TIM RAUE ist meist Monate im Voraus ausgebucht. Jedoch liefert Raue Menüs nach Hause. Und das Deutschlandweit.

Tim Raue zu anschauen

Tim Raue ist mittlerweile ein gewohntes Gesicht in gleich mehreren TV-Formaten im deutschen Fernsehen. Juroren Kochsendungen mag ich jedoch meist nicht. Empfehlen kann ich aber (als Ergänzung zum Podcast) die Netflix Folge Chefs Table mit Tim Raue. Gewohnt ästhetisch, vielleicht etwas dramatisch inszeniert kann man dem Chef bei der Arbeit auf die Finger gucken. Außerdem liefert die Doku-Folge einige spannende Einblicke in die kulinarische Geschichte von Berlin.

Nachtrag: Mir wurde auf diesen Text hin die Show Kitchen Impossible von Tim Mälzer empfohlen, in der Raue einige Male auftritt. Ich wurde tatsächlich eines besseren Belehrt und bestens unterhalten.

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Tim Raue zum selber kochen

Auch literarisch gibt es von Tim Raue bereits etwas zu lesen, zu dem ich allerdings nicht viel sagen kann. Spannend sind jedoch für alle die Lust auf Rauesche Küche haben, seine beiden Kochbücher. MY WAY beschäftigt sich mit seiner Biographie und der für die private Küche anspruchsvollen Rezepte aus seinem Haupt-Restaurant. Eine gute Alternative ist Rezepte aus der Brasserie, in dem es um die Küche seines Restaurant-Konzepts Colette (Berlin, München und Konstanz) geht. Weniger exklusiv, dafür sehr frankophil. Die französische Küche hat Tim Raue viele Jahre begleitet (und bekannt gemacht), bis er sich selbst in der asiatischen Küche entdeckt hat.

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Lea Biermann

Lea Biermann

Redaktion

Seit vielen Jahren schreibt Lea für Redaktionen & Unternehmen.
Bei Glücksmomente Charmingplaces erzählt Lea am liebsten über Menschen und ihre Leidenschaft, sowie Bücher oder Filme, die direkt ins Herz gehen.

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