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Kaiserbäder Usedom: Promenieren wie einst die Prominenz

Kulturtipp Kaiserbäder Usedom

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Entdecken Sie die prunkvolle Bäderarchitektur aus der Kaiserzeit – unser Kulturtipp Kaiserbäder Usedom

Header-Bild: Blick auf die Ahlbecker Seebrücke, © Usedom Tourismus GmbH, Dirk Bleyer

Wie auf einer Perlenkette reiht sich eine prächtige Villa aus der Gründerzeit an die andere, viele von ihnen strahlendweiß. Entlang der sechs Kilometer langen Strandpromenade zwischen den Usedomer Kaiserbädern gibt es für Architekturinteressierte einiges zu entdecken …

Vor allem jenen wilden Stilmix, der sich auch heute noch in Neubaugebieten ohne Gestaltungsvorschriften finden lässt. Offenbar hatten die adligen und großbürgerlichen Bauherren, welche Usedom im 19. Jahrhundert als Sommerfrische besiedelten, genauso individuelle Vorstellungen von ihrem Traumhaus wie zeitgenössische Eigenheimbesitzer.

Die Bauherren der Bädervillen: Gut betucht und gut gewandet

In einem war sich die Berliner Schickeria jedenfalls einig: Repräsentativ sollten ihre Sommerresidenzen sein! Es konnten gar nicht genug Säulen und Pilaster, Simse, Friese und Bögen die Fassaden zieren.

So wie man sich selbst möglichst extravagant in Schale warf, so wurden auch die Baukörper in dekorative Gewänder gehüllt. „Sehen und gesehen werden“ lautete das Motto des Geldadels im deutschen Kaiserreich. Understatement war damals nicht gefragt.

Mit dem Aufkommen der Moderne prägten jedoch nur wenige Jahrzehnte später konstruktive Ehrlichkeit, Materialgerechtigkeit und formaler Minimalismus den architektonischen Diskurs – was unter anderem auf die überbordende Opulenz des Historismus und Jugendstils zurückgeführt wird.

„Less is more“ war offensichtlich noch nicht die Devise der Architekten und Auftraggeber, als sie Heringsdorf von einer einfachen Fischersiedlung in ein mondänes Seebad und schließlich – wie Hermann Mann 1923 schrieb – in einen Vorort Berlins verwandelten.

Eher kommt einem Venturis Persiflage „Less is a bore“ in den Sinn, wenn man die in trauter Nachbarschaft vereinten klassizistischen Villen, italienischen Renaissance-Paläste, neogotischen Burgen und die alpenländisch, skandinavisch oder russisch inspirierten Holzhäuser betrachtet.

Über 200 Villen existieren noch in den drei Kaiserbädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. 157 stehen unter Denkmalschutz – die größte Dichte an historischen Villen in ganz Deutschland. Als „ein Freiluftmuseum vergangener Geschmacksepochen“ bezeichnete Lothar Müller die Bäderarchitektur Usedoms treffend in der Süddeutschen Zeitung.

Mit „Einheit in der Vielfalt“ lässt sich der Bäderstil gut beschreiben – denn einheitliche Baumerkmale sucht man vergebens. Angesichts dieses Stilpluralismus bleibt nur der Genius Loci als verbindendes Element: der Ort und seine Atmosphäre.

Die drei Kaiserbäder: Der Traum von Arkadien auf Usedom

Und so findet man Bäderarchitektur überall dort, wo sich in Zeiten der Industrialisierung die Sehnsucht der Städter nach frischer Seeluft manifestierte. Wo sich Adelige, Bankiers und Unternehmer ihren Traum von Arkadien verwirklichten und sich dabei der Formensprache verschiedenster Architekturepochen bedienten.

Auf Usedom nahm alles seinen Anfang mit dem Oberforstmeister Georg Bernhard von Bülow, der gemeinsam mit seinem Bruder das Rittergut Gothen erwarb.

Bülow ließ 1825 auf dem Kulm, einer bewaldeten Erhebung nahe der Küste, das Weiße Schloss als erstes Gästequartier des heutigen Heringsdorf errichten. Mit weiteren Logierhäusern, einem Gesellschaftshaus und drei Badeanstalten schuf er das erste Seebad der Insel.

Das Weiße Schloss und die Villa Achterkerke sind die ältesten noch bestehenden Gebäude aus den Gründerjahren des Usedomer Badetourismus und eine Besichtigung wert.

Gleich nebenan, in der Villa Fontane, weilte 1863 der in Swinemünde aufgewachsene Dichter. Weitere illustre Gäste wie Thomas und Heinrich Mann, Maxim Gorki, Leo Tolstoi, Kurt Tucholsky und Johann Strauß stellten sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein.

Ein besonderes Promi-Event waren die Besuche von Kaiser Wilhelm II. in der Villa Staudt, wo ihn die verwitwete Frau Konsul zum Tee empfing.

In der Parkanlage des Nachbargrundstücks steht eines der bekanntesten Baudenkmäler der Bäderarchitektur. Der Bankier Benoît Oppenheim ließ sich 1883 eine neoklassizistische Villa im palladianischen Stil erbauen.

Mit ihrem beeindruckenden Säulenportikus avancierte die weiße Villa zu einem Lieblingsmotiv des Bauhaus-Malers Lyonel Feininger. Hier und an vielen anderen Orten auf Usedom zeichnete er seine „Naturnotizen“, deren Motive sich auf der Lyonel-Feininger-Rundtour erradeln lassen.

Nachdem die Gebrüder Delbrück 1872 die Aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf gegründet hatten, wandelte sich der bürgerliche Badeort zu einem Treffpunkt der Hautevolee. Ein regelrechter Bauboom setzte ein. Es entstanden Hotels, Tennisplätze, eine Pferderennbahn, ein Casino und der hölzerne Vorgänger der heutigen Seebrücke.

Durch den Anschluss an die Bahnstrecke ließ sich die „Badewanne Berlins“ nun viel schneller und bequemer von der kaiserlichen Reichshauptstadt erreichen. „Vorne Ku’damm hinten Ostsee…“, scherzte deshalb Kurt Tucholsky.

Von Seebrücke zu Seebrücke: Auf Architek-Tour durch die Kaiserlichen Drei

Heutzutage ist für mich das UsedomRad das Verkehrsmittel der Wahl, wenn man die wilhelminische Bäderarchitektur erkunden möchte. Das Fahrrad-Verleihsystem verfügt über ein dichtes Stationsnetz und eine große Auswahl von Rad-Typen. Ein wahrlich doppeltes Highlight: die Architektur-Exkursion per Tandem.

Aber natürlich lässt sich die sechs Kilometer lange Strecke von Ahlbeck nach Bansin (oder umgekehrt) auch gemütlich flanierend zu Fuß zurücklegen.

Die meisten Baudenkmäler befinden sich in erster Reihe an der Strandpromenade, aber in allen drei Kaiserbädern lohnt sich ein Abstecher in die zweite.

Ahlbeck

Die älteste Seebrücke in Deutschland, Ahlbecks „Grande Dame“ ist ein würdiger Auftakt für die Reise in die kaiserliche Vergangenheit. Vis-à-vis zieht die reich gegliederte Hotelfassade des „Ahlbecker Hof“ den Blick auf sich. Unweit davon entzückt die bunte Villa Emmy.

Nachdem wir die Bädervillen der Dünenstraße bewundert haben, bietet sich eine Extrarunde durch die Bismarck-, Kaiser- und Kurparkstraße an, bevor uns der Weiterweg Richtung Heringsdorf führt.

Kontrastreicher könnten Anfang und Ende des kleinen Umwegs nicht ausfallen: Von den hochherrschaftlichen Zwillingsvillen des Hotels Auguste Viktoria gelangen wir zum ältesten Gebäude Ahlbecks, einem reetgedeckten Fischerhaus.

Heringsdorf

Auch in Heringsdorf wenden wir uns zuerst der Seebrücke zu. Die historische Holzbrücke mit ihren reich verzierten Gebäuden, die 1893 durch den Wolgaster Architekten Johannes Lange errichtet wurde, ist leider nicht mehr erhalten.

Der deutlich profanere Ersatzbau aus den 90er-Jahren reicht einige Meter mehr in die Ostsee hinein als sein Vorgänger und rühmt sich, die längste Seebrücke Kontinentaleuropas zu sein. Der Blick vom Steg zurück Richtung Strandpromenade offenbart Bausünden aus der DDR-Zeit, die nicht recht zum angestrebten Image des wilhelminischen Kaiserbades passen wollen.

An der Strandpromenade schauen wir uns die bereits erwähnten Villen Staudt und Oppenheim an, suchen dann aber in den Nebenstraßen nach versteckteren Kleinoden der Bäderarchitektur.

Die auf usedom.de erhältliche digitale Broschüre ist dabei nicht nur wegen der Lagepläne hilfreich, sie enthält auch interessante Geschichten zu den Objekten. Die vierstöckige Villa Hintze wurde beispielsweise als generöse Mitgift für die Tochter erbaut. Geradezu bescheiden wirkt im Vergleich Bülows touristischer Pionierbau, die Villa Achterkerke.

Bansin

Mein persönlicher Favorit unter den „Kaiserlichen Drei“ ist Bansin, der historisch jüngste Ort im Bunde. Er wurde 1897 direkt als Seebad gegründet und beeindruckt noch heute mit seinen lückenlos erhaltenen Villenzeilen in erster und zweiter Reihe.

Zur Jahrhundertwende soll es in Bansin weit weniger formell zugegangen sein als im prestigeträchtigen Heringsdorf. Zahlreiche Tanzcafés lockten UFA-Stars wie Heinz Rühmann, Marika Röck oder Willi Fritsch an.

Dazu passt, dass Bansin 1923 als erstes deutsches Seebad die „Freibade-Erlaubnis“ erhielt. Statt im Badekarren in die Ostsee gezogen zu werden oder die vormals geschlechtergetrennte Badeanstalten aufzusuchen, durften sich die Badelaunigen nun unbegrenzt in den Wellen vergnügen.

In Bansin findet man die heimlichen Perlen der Bäderarchitektur. Die sogenannten Wolgast-Häuser wurden im gleichnamigen Nachbarort der Insel als Fertigbausätze hergestellt.

Der Architekt der historischen Heringsdorfer Seebrücke entwarf verschiedene Holzhaustypen, die sich die Kunden per Katalog bestellen konnten. Reich verziert oder eher schlicht, ganz nach Geschmack und Geldbeutel.

Das einer nordischen Stabkirche nachempfundene „Utkiek“ wurde 1878 von der Wolgaster Actien-Gesellschaft gebaut und auf der Weltausstellung in Paris gezeigt. Heute kann man die hübsche Holzvilla an Bansins Strandpromenade bewundern.

Übernachtungs-Tipp nahe der Kaiserbäder Usedom

Wenn ich Ihr Interesse an der Bäderarchitektur wecken konnte, empfehle ich Ihnen wärmstens einen Aufenthalt in unserem Charmingplace in Heringsdorf. Das historische Haupthaus der Pineblue Villas zählt zu den schönsten Beispielen des Bäderstils auf Usedom.

Im September findet in den Kaiserbädern alljährlich die „Woche der Bäderarchitektur” mit einem informativen und kreativen Veranstaltungsprogramm statt. Gute Reise und einen angenehmen Aufenthalt!


Mareike Dietrich

Textgestalterin – Autorin

Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.

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