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Header-Foto: © Carré d’Art | Foster + Partners | Photograph by James Morris auf archello.com
In Narbonne, der einstigen Hauptstadt des römischen Galliens, brauchen Sie sich noch nicht einmal zu entscheiden, ob Sie Ihre Sightseeing-Tour dem Altertum oder der Moderne widmen wollen.
Das vom britischen Architekturbüro Foster + Partners konzipierte Museum Narbo Via präsentiert rund 15.000 Exponate aus der gallo-römischen Vergangenheit in zeitgenössischem Rahmen. Ein Must-See für Architektur- und Archäologie-Fans sowie ein Highlight unserer Kulturtipps Okzitanien, speziell im Languedoc!
Narbo Via – Antike Stadtgeschichte unter modernem Dach
Das im Mai 2021 eröffnete Antikenmuseum vereint unter seinem auskragenden Flachdach Galerien für Dauer- und Wechselausstellungen, ein Multimedia-Bildungszentrum mit Auditorium, Restaurant und Shop sowie die Archäologische Forschungsabteilung mit ihren Werkstätten und Depots.
Allein die Dimensionen des 8.000 qm großen Gebäudes sind beeindruckend, nicht weniger die Baukosten von 56,8 Mio. Euro. Angesichts dessen zeigt sich die Architektursprache auffällig zurückhaltend, begegnet den handwerklich hergestellten Ausstellungsstücken mit industrieller Präzision und subtilen Interpretationen ihrer Materialität.
So verweisen die in warmen Ockertönen changierenden Betonwände des Museums auf ein antikes Vorgängermaterial: Opus caementicium, Römischer Beton. Schon seit dem 3. Jahrhundert vor Chr. errichteten die Römer Bauwerke aus Gussmauerwerk. Ein berühmtes Beispiel ist die Kuppel des Pantheon in Rom.
„Die Idee, die bemerkenswerte antike Sammlung der Stadt in einen unverhohlen zeitgenössischen Kontext zu bringen, war eine faszinierende Herausforderung. […] Unser Ansatz bestand darin, eine einfache und dennoch flexible Architektursprache zu schaffen, die von Monumentalität und Verbindungen zu Geschichte und Kultur durchdrungen ist – unerlässlich für dieses Museum der ‚lebendigen‘ Antike.“ (Spencer de Grey und Hugh Stewart, Foster + Partners)
Herzstück, oder vielmehr Rückgrat des Museums ist die „Mur Lapidaire“, eine Art Hochregallager für 760 bearbeitete Steinblöcke. Die Blöcke sind Überreste des antiken Narbonne: der Kolonie Narbo Martius, der ersten Römersiedlung außerhalb Italiens. An Touchscreens lassen sich zu jedem Stein der Sammlung Informationen abrufen.
Das 76 m lange und 10 m hohe Lapidarium trennt die Ausstellungsfläche von den nicht öffentlich zugänglichen Restaurierungsräumen. Besucher können jedoch durch die offene Regalkonstruktion Blicke auf die Arbeit der Archäologen erhaschen.
Ein automatisiertes Regalbediengerät ermöglicht es den Forschern, die Anordnung der Exponate jederzeit neu zu konfigurieren und die „Mur Lapidaire“ als Lernwerkzeug zu nutzen.
Die klar strukturierte Ausstellung führt durch sechs Jahrhunderte narbonnesischer Geschichte, in die man sich mithilfe interaktiver Exponate gut hineinversetzen kann. Dem Narbo Via gelingt es, einen Brücke zwischen dem antiken und heutigen Stadtleben zu schlagen.
Nicht zuletzt durch die geschickte Anbindung an den Spazierweg entlang des Canal de la Robine (vom Stadtzentrum sind es etwa 15 Minuten zu Fuß) und die Gartenanlage mit Amphitheater, die Besucher wie Passanten zu längerem Verweilen einlädt. Definitiv einen oder auch mehrere Besuche wert!
Architekturinteressierte finden ausführlichere Informationen auf der Projektseite von Foster + Partner. Alles Wissenswerte zum Museumsbesuch hält die Website des Narbo Via bereit.
Musée de la Romanité in Nîmes – Altertümer in neuem Gewand
Wie Narbonne war auch Nîmes einst eine prosperierende römische Kolonie. Noch heute zeugt das gut erhaltene Amphitheater im Stadtzentrum von dieser kulturellen Blütezeit.
Der nach dem Vorbild des römischen Kolosseums errichtete Rundbau erhielt 2018 ein aufsehenerregendes Pendant: Vis-à-vis eröffnete das Museum der Romanität – mit einer Architektur, die schnell zum Wahrzeichen des zeitgenössischen Nîmes avancierte.
Die Pariser Architektin Elizabeth de Portzamparc hüllte den quaderförmigen Baukörper in ein Gewand aus abertausenden weiß bedruckter Glasscheiben. Der fließende Faltenwurf der Fassade soll laut Portzamparc an eine römische Toga erinnern, während die aufgedruckten Quadrate antike Mosaikkunst zitieren.
Ob man das nun so sehen mag oder nicht – ganz offensichtlich ist es der Architektin gelungen, eine komplementäre Beziehung zwischen zwei Bauwerken herzustellen, die durch fast 2000 Jahre Architekturgeschichte voneinander getrennt sind. Massivität trifft auf Leichtigkeit, Wiederholung auf Einmaligkeit, Geometrie auf organische Formensprache.
Effektvoll spielt das Tageslicht auf der reflektierenden Fassade, was dem Gebäude Lebendigkeit und ein ständig wechselndes Erscheinungsbild verleiht. Lediglich die beiden Obergeschosse werden von der weißen „Toga“ verhüllt. Das Erdgeschoss ist hingegen transparent verglast, um Passanten zur Erkundung des Museums einzuladen.
„Für das Museum war es wichtig, eine enge Beziehung zur Stadt zu haben. Aus diesem Grund gibt es eine innere Straße, die das Gebäude durchquert und zur Dachterrasse hinaufsteigt, auf der ständigen Suche nach Offenheit. Menschen, die das Museumsticket nicht bezahlen können oder wollen, dürfen dennoch bestimmte Innenräume und die Gärten nutzen. So lernen sie das Museum nach und nach kennen, was sie hoffentlich zu einem späteren Besuch inspiriert.“ (Elisabeth de Portzamparc)
Die öffentlich zugängliche Passage folgt den Spuren der ehemaligen augusteischen Stadtmauer und verbindet den Vorplatz des Amphitheaters mit dem archäologischen Garten. Sie führt an einem zentralen dreistöckigen Atrium vorbei, in dem ein Nachbau des antiken Quellheiligtums von Nîmes zu sehen ist. Diese Quelle war dem keltischen Quell-Gott Nemausus geweiht, welcher der frühzeitlichen Siedlung ihren Namen gab.
Eine spektakuläre spiralförmige Treppe, verkleidet mit poliertem Metall, windet sich vom Foyer in die oberen Etagenebenen. Geschossübergreifende Säle, Lufträume, Galerien und Brücken schaffen hier einen räumlich abwechslungsreichen Ausstellungsparcours.
Langgezogene Schlitze in der gewellten Glasfassade lenken Tageslicht nach innen und eröffnen kontrastreiche Ausblicke auf die Rundbögen des Amphitheaters. Im dritten Obergeschoss mündet der Besucherweg in einen offenen Hof, von dem aus eine spiralförmige Rampe zur Dachterrasse mit Panoramablick führt.
Bei so vielen Worten über die Rauminszenierung soll die Museografie nicht unerwähnt bleiben. Das Ausstellungsdesign stammt ebenfalls von der Architektin und folgt ihrem Ansatz, die Stadt ins Museum zu holen.
Der chronologische Ausstellungsrundgang durch die Jahrhunderte ist offen und partizipativ gehalten. Multimediale Anwendungen fördern das Verständnis der physischen Exponate sowie ihre Einordnung in den Zusammenhang der Sammlung.
Und diese ist riesig: Von den rund 25.000 Objekten der Museumskollektion wird nur ein Fünftel in der 3.500 qm großen Dauerausstellung zur Schau gestellt. Beeindruckend groß sind auch einige Ausstellungsstücke – so etwa das Pentheus-Mosaik, das allein eine Fläche von 35 qm bedeckt.
Die interaktive Szenografie begeistert sogar Besucher, die sich bisher in Archäologiemuseen eher gelangweilt haben. Spezielle Angebote für ein junges Publikum machen das Museum zu einem lohnenden Ausflugsziel für die ganze Familie.
Eine Gourmet-Brasserie und der Museumsshop schaffen zusätzliche Anreize für einen längeren Aufenthalt. Bei einer Reise nach Nîmes oder in die umliegende Region sollten Sie das Musée de la Romanité also keinesfalls auslassen.
Besuchen Sie die Museumswebsite für weitere Details oder erfahren Sie auf der Projektseite von Elizabeth de Portzamparc mehr über die Architektur.
Extratipp Nîmes: Wenn Sie schon einmal da sind, besuchen Sie doch gleich noch das Kunstmuseum Carré d’Art, das 1993 dem römischen Tempel Maison Carré gegenübergestellt wurde. Auch dieser Museumsentwurf stammt von Foster + Partners.
Geheimtipp: MRAC – Musée régional d’art contemporain in Sérignan
Sie interessieren sich mehr für zeitgenössische Kunst als für Altertümer und Architektur? Dann ist mein Geheimtipp vielleicht die richtige Empfehlung für Sie.
Im kleinen Küstenort Sérignan nahe Béziers gibt es große Kunst zu entdecken. Der Konzeptkünstler Daniel Buren hat gleich mehrere Werke für die 8000-Seelen-Gemeinde geschaffen, deren innige Verbindung zur modernen Kunst in den 1990er Jahren begann.
Die Privatsammlung des Bürgermeisters bildete vor mehr als 30 Jahren die Grundlage für das Regionale Museum für zeitgenössische Kunst. Um die gesammelten Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde 1991 ein ehemaliger Weinkeller zum Kunstraum umfunktioniert.
Im Espace d’art contemporain Gustave Fayet, wie das kleine Museum zunächst hieß, fanden zudem regelmäßig Wechselausstellungen von Werken nationaler und internationaler Künstler statt. Schenkungen ließen die Sammlung beständig anwachsen und erforderten eine wiederholte Erweiterung der Ausstellungsfläche. Angefangen bei 200 qm, verfügt das MRAC inzwischen über rund 3.200 qm, verteilt auf benachbarte Gebäude.
Die Fassadengestaltung der bekannten französischen Künstler Daniel Buren und Bruno Peinado hält das Museums-Ensemble zusammen und macht mit leuchtenden Farben auf die Kunststätte aufmerksam.
Buren hat für sein Werk Rotation die Fenster des MRAC mit formatfüllenden Dreiecken und Streifen aus farbiger Folie beklebt. Durch das einfallende Tageslicht werden geometrische Muster in den Innenraum projiziert, die ihn mit dem Sonnenlauf fortwährend verändern.
Von faszinierender Leuchtkraft ist auch Burens begehbare Installation Cabane éclatée aux caissons lumineux colorés (Die explodierte Hütte mit farbigen Lichtkästen), die sich schnell zu einem Besuchermagneten entwickelt hat.
Neben den Arbeiten von Daniel Buren verfügt das MRAC aktuell über eine permanente Sammlung von mehr als 550 Werken aus den 1970er Jahren bis zur heutigen Zeit, von denen über 50 Prozent gestiftet sind.
Auch wenn in Okzitaniens Großstädten bekanntere Museen locken – der Enthusiasmus, mit dem sich Sérignan der Kunst und Kultur verschrieben hat, ist erlebens- und unterstützenswert. Auch ein Kulturhaus mit Theater wurde gebaut.
In der dazugehörigen Parkanlage hat Daniel Buren wiederum seine leuchtenden Spuren hinterlassen. 170 Säulen aus Streckmetall erstrahlen bei Dunkelheit in allen Farben des Regenbogens. Folgen Sie dem Licht!
Weiterführende Links zu Erlebnis- und Kulturtipps Okzitanien
Immer noch kulturhungrig? Eine Übersicht über die Museen Okzitaniens finden sie hier.
Und ausgesuchte Tipps & Empfenhlungen haben wir in unseren Erlebnistipps Okzitanien für Sie zusammengestellt.
Mareike Dietrich
Textgestalterin – Autorin
Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.
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