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Header-Bild “Kulturtipp Bodensee”: © Mareike Dietrich
Ein pragmatisch gestaltetes Gewerbegebäude im gleißenden Sonnenlicht in Langenargen am Bodensee. Ganz weiß verputzte und grau gepflasterte Nüchternheit. Meine Klischeevorstellung von einem Künstleratelier hält dem Realitätsabgleich nicht stand.
Doch kaum haben meine beiden Begleiterinnen und ich die Türschwelle überschritten, fühle ich mich in eine andere Welt versetzt. Von einem Moment auf den anderen sind wir in den Kunstkosmos eines leidenschaftlichen Malers eingetaucht.
Bunte Farbspritzer überziehen den Boden und sämtliche Wände. Selbst das weiße Sofa wurde nicht verschont, sondern offenbar Zielobjekt eines Action Paintings. Farbtuben und -flaschen füllen reihenweise Tische und Regale, dazwischen liegen Pinsel aller Größen und Platten, die der Künstler als Farbpaletten nutzt.
Letztere würde ich mit ihren pastos aufgetragenen Tupfen fast für Kunstwerke halten, wüsste ich es nicht besser.
Ein fotorealistisches Theater der Träume
Michael Beck hat sich nach Jahren der abstrakten Malerei wieder dem Gegenständlichen zugewandt. Mit altmeisterlich geschulter Maltechnik setzt er seine digital entwickelten Bildkompositionen in einer beeindruckenden Detail- und Farbtiefe um.
Schon mit 13 Jahren hat der in Biberach an der Riß geborene Künstler mit dem Malen begonnen. In der Folgezeit stellte er sein Talent mit Kopien von Meisterwerken unter Beweis.
Beck zeigt uns am Laptop Portraits, die er über Jahre hinweg von berühmten Persönlichkeiten angefertigt hat. Jede Falte, ja jede einzelne Pore im Gesicht von Iggy Pop, Joni Mitchell und anderen ist wirklichkeitsgetreu dargestellt.
Angesichts eines solchen Perfektionismus bin ich erst einmal sprachlos – nicht gerade die beste Voraussetzung für ein Interview.
Becks Tierleben
Für unser Gespräch setzen wir uns auf das buntfleckige Action-Painting-Sofa, direkt ins Zentrum einer skurrilen Menagerie.
„Traumtheater“ heißt Michael Becks aktuelle Serie großformatiger Stillleben, die in verschiedenen Fertigungsstadien an Wänden und Möbeln lehnen. Wie ich erfahre, fertigt er diese Gemälde hauptsächlich mit Ölfarbe, nur die Feinheiten werden in Acryl ausgeführt.
Von den Leinwänden ringsum schauen uns Tiere aller Art an. Ein großer Braunbär, der mit einem Wolf, einem Wiesel und einer Ratte auf einem weiß gedeckten Tisch arrangiert wurde. Auf einem anderen, mit üppigem Stoffüberwurf dekorierten Tisch geben sich eine Kuh, ein Schwein, eine Ziege, ein Otter und zwei Enten ein Stelldichein.
Die Tierarten variieren, der Bildaufbau ähnelt sich. Im Vordergrund stets ein Tisch, darauf die ohne erkennbaren Zusammenhang angeordneten Tiere. Der Hintergrund wird bei allen Bildern von einem Bergpanorama eingenommen, das mittels Farbperspektive Tiefenräumlichkeit in die Komposition bringt.
Jedes Motiv wartet mit irritierenden Elementen auf. Der Erpel trägt eine Pudelmütze, das Schwein thront auf zwei Koffern auf dem Rücken der Kuh. Und warum ist der Elch nach Westernart gesattelt?
Das Ei des Dalí
Schnell wird klar: Mit Logik und Ratio kommt man den surrealen Sujets nicht näher. Vielmehr laden Becks Gemälde zur freien Assoziation ein – zu einer intuitiven Deutung des Traumtheaters nach Freud’scher Lehre.
Apropos Freud: War nicht Dalí ein großer Verehrer des Begründers der Psychoanalyse? Ich frage nach, ob eine Verbindung besteht.
Meine Eingebung bestätigt sich. „Ich habe mich schon in meiner Jugend intensiv mit Salvador Dalí beschäftigt“, verrät der Künstler. An Dalí erinnern auch die Hühnereier, die sich auf nahezu jedem Gemälde der Serie finden. Ein klassisches Symbol für Fruchtbarkeit, Geburt und Wiedergeburt.
Möglicherweise auch für die große schöpferische Kraft, die dem Künstler innewohnt und nach außen drängt.
Michael Beck spürt ständig den Impuls zu Malen. „Ich arbeite an 7 Tagen in der Woche und bin zwischen 12 und 14 Stunden im Atelier“, gesteht er. Zwischen 200 und 270 Stunden dauert der schichtweise Aufbau eines Bildes, Trocknungszeiten nicht eingerechnet.
Der Zeitaufwand zahlt sich aus. Nach Ausstellungen in internationalen Galerien verkauft er seine Bilder heute selbst, häufig an Stammkunden. „Länger als ein dreiviertel Jahr steht keins im Atelier“, sagt der Künstler zufrieden. Regelmäßig fertigt er auch Auftragsarbeiten an.
Als ich Michael Beck frage, warum er sich ausgerechnet und ausschließlich der Malerei widmet, stellt sich heraus, dass er in Bildern denkt. „Ein Bild kann ich mir jederzeit ausdenken und in eine Komposition umsetzen.“
Seine Vorskizzen entstehen in einer Bildbearbeitungssoftware an seinem heißgeliebten Mac. Sie haben jedoch nichts Skizzenhaftes, sondern sind perfekt ausgearbeitete digitale Artworks. So können Becks Kunden ein Motiv auswählen, noch bevor das Bild gemalt ist.
Die Bildelemente seiner Traumtheater findet er im Internet. Bei der Websuche leitet ihn seine Intuition, meist entscheidet er spontan aus dem Bauch heraus, was in die Komposition aufgenommen wird.
Rätselhafte Fragmente des Unbewussten
Ähnelt diese Arbeitsweise nicht dem morgendlichen Zusammenklauben eines Traums? Mir erscheint sie wie das Verbinden von Versatzstücken der Erinnerung, was uns nie vollständig gelingen kann.
Dennoch: Fragmente des Unbewussten rücken beim Erinnern ins Bewusstsein und entfalten ihre rätselhafte Anziehungskraft. So wie Becks Traumtheater-Bilder.
Das Collagehafte und Fragmentarische haftet auch den fertigen Werken noch an und macht im Zusammenspiel mit der vollendeten Maltechnik ihren besonderen Reiz aus.
NACHRUF
Das persönliche Interview fand am 20. Juni 2022 statt.
Michael Beck ist am 1. August 2022 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben.
Wir sind tief betroffen und voller Mitgefühl für die Angehörigen des Künstlers. Das Gespräch mit Michael Beck war höchst inspirierend und es sollte traurigerweise das letzte Interview sein, das er in seinem Leben gegeben hat. Wir fühlen uns geehrt.
“Das Leben – Ein Traumtheater”. Vielen Dank für Dein Schaffen Michel!
Kulturtipp Bodensee – Michael Beck
Mareike Dietrich
Textgestalterin – Autorin
Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.
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