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Das Nationalparkzentrum am Ruhestein ist ein lohnendes Ausflugsziel für Architektur- und Naturfreunde – unser Erlebnistipp Schwarzwald
Baden-Württembergs erster und bislang einziger Nationalpark ist ein absoluter Erlebnistipp und erstreckt sich auf den Höhenzügen im nördlichen Schwarzwald zwischen Baden-Baden und Freudenstadt. Das rund zehntausend Hektar große Schutzgebiet wurde 2014 mit dem Ziel gegründet, die Natur wieder Natur sein zu lassen. In seiner Kernzone sind menschliche Eingriffe untersagt, der Kulturwald darf sich in einen Urwald zurückverwandeln. Jegliches Totholz verbleibt im Wald und bildet die Grundlage neuen Lebens.
Ebendiese Totholzstapel aus umgestürzten, überkreuz liegenden Baumstämmen dienten den Architekten Sturm+Wartzeck als Leitmotiv für ihren Wettbewerbsentwurf. Das hessische Büro überzeugte mit seiner expressiven Naturanalogie die Jury und erhielt vom Land Baden-Württemberg den Bauauftrag für das Verwaltungs- und Ausstellungsgebäude am Ruhestein.
Bauen in exponierter Lage
Die nach einem Findling benannte Passhöhe Ruhestein liegt mehr als 900 m über dem Meeresspiegel, umgeben von großen Waldflächen. Die Planer hatten schwierige Umstände wie Baumwurf, Erdbeben-, Wind- und Schneelasten zu berücksichtigen; außerdem die hohe Luftfeuchte an bis zu 200 Nebeltagen im Jahr. Eine weitere Bedingung war der Erhalt des geschützten Baumbestands auf dem Grundstück, was besondere Maßnahmen auf der Baustelle erforderte. So mussten vorgefertigte Gebäudeteile passgenau zwischen vorhandene Bäume geschoben werden, deren Stämme oft nur einen halben Meter Spielraum ließen.
Das Resultat des aufwändigen Planungs- und Bauprozesses ist sehenswert: Obschon sich die acht ineinander verschränkten Gebäuderiegel nahtlos in die typische Landschaft im Schwarzwald einfügen, präsentiert sich das Bauwerk eigenständig und ausdrucksstark. Bis zu 65 Meter sind die schmalen Riegel lang. Wie ihre Vorbilder, die umgefallenen Baumstämme, liegen sie an nur wenigen Punkten auf und kragen an den Enden weit in den Wald hinaus. Eine statische Meisterleistung, die auch Architektur-Laien auf den ersten Blick beeindruckt.
Eintauchen und ausblicken
Wenn er nicht so versteckt im Wald läge, hätte der Skywalk mit seinem talwärts geneigten Aussichtsturm definitiv Landmark-Charakter. Stattdessen erfüllt er fast bescheiden seine Aufgabe, die unterschiedlichen Stockwerke des Waldes erlebbar zu machen. In Verlängerung des zentralen Gebäuderiegels führt der freitragende Steg durch den mittleren Astbereich, während die Aussichtsplattform auf Wipfelhöhe angeordnet ist. Über das Turmtreppenhaus gelangen die Besucher zu den Wurzeln am Waldboden.
Die Erschließung der Innenräume folgt ebenfalls der Idee eines stufenweisen Eintauchens in den Wald. Barrierefreie Rampen verbinden die verschiedenen Ausstellungs- und Nutzungsbereiche mit dem zentralen Foyer. Immer wieder lenken verglaste Flächen oder kleine Fenster den Blick nach außen in die umliegenden Bäume.
Die multimediale Dauerausstellung macht sichtbar, was sich bei einem Waldspaziergang dem Auge entzieht. Auf mehr als 1000 qm werden Besucher für den Naturschutz sensibilisiert und entdecken dabei unbekannte Welten – wie die der Pilze und Bodenlebewesen. Anschließend lädt der Raum der Stille ein, das Erfahrene mit Ausblick auf den echten Wald nachwirken zu lassen. Wechselausstellungen zu aktuellen Themen, Kino, Shop und Gastronomie runden das Besuchererlebnis im Nationalparkhaus ab.
Im nahen Umfeld des Hauses locken weitere Angebote unter freiem Himmel; ein Erlebnistipp ist etwa der familienfreundliche Wildnisbereich, den man auch abseits der Wege erkunden darf. Der Ruhestein ist Ausgangspunkt für zahlreiche Erlebnispfade sowie gut ausgeschilderte Wander-, Rad- und Reitwege, Langlaufloipen und Schneeschuhtrails. Zudem bietet das Team der Wildnisbildung geführte Touren und Gruppenangebote an.
Heimisches Holz
Wie die Bauform, ist auch die Bauweise des Nationalparkzentrums eng mit dem Wald verbunden. Das Baumaterial für das Holztragwerk, die Fassadenverkleidung und der Innenausbau stammt größtenteils aus heimischen Wäldern. Bei der Fassadengestaltung orientierten sich die Architekten abermals an der Natur. Die Dreifachdeckung aus Fichtenholzschindeln soll in Struktur und Farbton an Baumrinde erinnern. Tatsächlich harmonieren die silbrig-grauen Oberflächen der Baukörper bestens mit den nahestehenden Baumstämmen.
Es ist ein ungewöhnliches Gebäude, das sich da kreuz und quer in den Wald hineinschiebt. Passend zum Slogan des Nationalparks Schwarzwald zeigt es sich “eine Spur wilder“ als erwartet.
Publikationen zum Projekt
Eine Spur wilder als gewöhnlich ging es auch auf der Baustelle zu. Spannende Dokumentationsvideos finden sich auf der Webseite der Architekten. Ein Mitarbeiter des Nationalparks hat einen Zeitrafferfilm des Baufortschritts erstellt und die schönsten Baustellenfotos in einem Bautagebuch (www.neuewildnis.com) veröffentlicht. Eine informative Broschüre zum Neubau lässt sich überdies von der Homepage des Nationalparks herunterladen.
Mareike Dietrich
Textgestalterin – Autorin
Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.
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