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Kleine Orte, großes Glück – unser Buchtipp “Reiseführer Nordholland”
In einem überschaubaren Land, wo die einzigen Erhebungen aus Dünen und Deichen bestehen und der Blick weit bis zum Horizont reicht, gibt es erstaunlich viel Verstecktes zu entdecken.
Das beweist ein kürzlich im Droste Verlag erschienener Reiseführer Nordholland, dessen Titel uns als Vermittler:innen von Glücksmomenten direkt angesprochen hat.
Auf Glückssuche zwischen zee, meer und dijk
Die Münsterländer Autorin Jutta M. Ingala hat es nicht weit bis in ihr Lieblingsnachbarland. Sie kann mit dem beliebtesten Verkehrsmittel der Holländer anreisen, dem Fahrrad.
Auch auf ihrer Glückssuche für den Reiseführer war sie häufig mit der „Fiets“ unterwegs, was sie ihren Leser:innen ausdrücklich zur Nachahmung empfiehlt.
Im ausklappbaren Buchumschlag mit Übersichtskarte erfreut mich gleich ein Zitat von Erasmus von Rotterdam: „Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.“
Das klingt alles andere als langweilig und verspricht Tipps jenseits des Konventionellen. Auch die Gestaltung des Paperbacks weicht erfreulich von klassischen Reiseführern ab. Fotos der empfohlenen Destinationen findet man erst im Inneren des Buches, der Umschlag macht mit bunten Illustrationen auf sich aufmerksam.
Sie versprühen jene gutgelaunte Leichtigkeit, die auch aus Ingalas Texten herausklingt. Beides macht Lust aufs Lesen und Entdecken.
Ich bin im Sauerland aufgewachsen – nicht in Fahrraddistanz, aber lediglich zwei Autostunden von der holländischen Grenze entfernt.
Vielleicht ist es meiner Kindheit im rauen Mittelgebirgsklima zuzuschreiben, dass es mich im Laufe meines Lebens immer weiter in Richtung der fernen Berge als ins nahe Flachland zog. Jedenfalls habe ich meinen damaligen Heimvorteil nicht genutzt, um die weiten Ebenen zwischen Nordsee und Ijsselmeer zu erkunden.
Wie schön, dass ich mich jetzt bei Jutta M. Ingala auf den Gepäckträger setzen durfte. Denn so hat sich die Lektüre des Buches angefühlt: Als wäre ich dort und würde der Autorin bei ihren Erkundungstouren über die Schulter schauen, mit einer salzigen Meeresbrise in der Nase und noch salzigerem Lakritzgeschmack im Mund.
Die Vorliebe für die schwarzen Leckereien habe ich von klein auf mit den Niederländern geteilt. Deshalb hat mich auch ein Glücksort besonders angesprochen, den ich als erstes mit Ihnen teilen möchte.
Im Lakritzhimmel „Soete Suyckerbol“ in Alkmaar
„Soete Suyckerbol“ heißt süße Zuckerkugel, lerne ich im Reiseführer. Es ist ein Süßwarenladen wie bei Pippi Langstrumpf.
Dickbauchige Bonbonieren reihen sich in Holzregalen, über der Verkaufstheke hängen Kristalllüster und braune Spitztüten aus Papier. In diese werden die Naschereien abgefüllt, bevor sie auf einer alten Berkelwaage gewogen und an einer noch älteren Registrierkasse abgerechnet werden. Nostalgie pur!
Das Sortiment beinhaltet meine sämtlichen Kindheitserinnerungen: Bonbonketten, Liebesperlen, Zauberkugeln, Mäusespeck … und natürlich Lakritz in allen Variationen. Ob süß oder salzig, hart oder weich – in Holland wird die Süßholzmasse schlicht „Drop“ genannt.
Das hauseigene Salmiak-Lakritz ist definitiv Geschmackssache und die als Konijnen- und Schapenkeutels (Kaninchen- und Schafskötel) angebotenen Lakritzkugeln allein dem Namen nach auch.
Nur 100 Meter Fußweg vom berühmten Käsemarkt am Waagplein entfernt, lassen sich diese beiden Must-Sees in Alkmaar bestens miteinander verbinden. Von zuhause aus kann man das umfangreiche Sortiment nicht ganz so nostalgisch, aber bequem über den Webshop ordern.
Im Café ECHT in Bergen
… geht es etwas ernährungsbewusster zu. Die hausgemachten Speisen werden aus saisonalen und überwiegend biologischen Zutaten frisch zubereitet. Auch vegane, glutenarme und zuckerfreie Backwaren finden sich auf der Karte. Frühstück und Smoothies gibt es den ganzen Tag, ab mittags auch Suppen, Salate und Bowls.
Nur fünf Gehminuten von unserem Charmingplace entfernt, ist das Café Echt in Bergen eine echte Empfehlung, wenn Sie Freude an nachhaltiger Kaffee- und Esskultur haben. Im Sommer sitzt man draußen mit Blick auf die alte Ruinenkirche.
Zum Strand von Bergen aan Zee sind es nur fünf glückliche Fahrradkilometer, wie im Reiseführer zu lesen ist. Schön, dass es in Alkmaar noch eine Dependance des charmanten Kaffeehauses gibt. In Nordholland liegen die Glücksorte nah beieinander!
Überzeugt hat mich neben den gut recherchierten Geschichten zu jeder Sehenswürdigkeit deren vielfältige Auswahl. Neben vielen Geheimtipps finden sich im Buch auch Empfehlungen, ohne die Holland eben nicht Holland wäre.
Wie könnte man das Land wieder verlassen, ohne einmal aufs Rad gestiegen zu sein, eine Windmühle gesehen oder Poffertjes gegessen zu haben?
Im bunten Zentrum von Zaandam
… lässt sich das alles wunderbar miteinander verbinden. Am besten bei einer Fahrradtour. Die Autorin hat allein vier ihrer Glücksorte in der Stadt am Noordzeekanaal gefunden, von denen ich drei erwähnen möchte. Zaandam sei „etwas surreal, ziemlich bunt und ungemein fröhlich“, stellt Jutta M. Ingala treffend fest.
Das ist vor allem dem niederländischen Architekten Sjoerd Soeters zu verdanken, der ab 2001 die städtebauliche Entwicklung des Viertels rund um den Bahnhof Zaanstad übernahm. In postmoderner Attitüde zitierte er die traditionelle Bauweise der Region, die sich durch grüne Holzfassaden, kunstvoll verzierte Giebel und weiße Sprossenfenster definiert.
Soeters verlieh einigen seiner Neubauten historisierende Fassaden, ließ aber das Kulissenhafte erkenntlich und zum identitätsstiftenden Merkmal des neuen Stadtzentrums werden.
Sein Landsmann und Kollege Wilfried van Winden trieb das Konzept auf die Spitze: Er „stapelte“ rund 70 Zaanse Häuser zu einem zwölfstöckigen Hotelgebäude, das punkto Kuriosität durchaus mit dem Wohnhaus der Weasleys aus den Harry Potter Filmen mithalten kann. Frei nach dem Motto: „Less is a bore“.
Nicht weniger imposant und kitschig (und nur drei Fahrradkilometer entfernt) präsentiert sich das „Kissing Couple XXXL“ auf der Amsterdamer Seite des Nordseekanals. Die überdimensionale Version des Holland-Souvenirs aus Delfter Blau ist auf jeden Fall einen Schlenker wert – denn Küssen macht bekanntlich glücklich.
Viel holländisches Kulturgut auf einem Fleck erwartet Sie im Wohn- und Handwerkerviertel „Zaanse Schans“ im Norden von Zaandam. Beim Holzschuhmacher und Zinngießer, in der Käserei und den Windmühlen wird heute noch gearbeitet wie einst.
Für die Reise aus der Postmoderne in die Vergangenheit bietet sich eine Fahrradtour an. Die Zaanse Schans lässt sich aber auch sehr gut mit dem Boot entdecken.
Wasser erwartet Sie auch am letzten Glücksort, den ich für Sie aus dem Reiseführer ausgewählt habe. Die Autorin nimmt uns dorthin mit, „wo das „meer“ ein See ist und die „zee“ ein Meer“.
Auf dem Afsluitdijk zwischen Nordsee und Ijsselmeer
Der Abschlussdeich ist vielleicht nicht das, was man sich unter einem idyllischen „Glücksort“ vorstellt. Aber mit Sicherheit ist der Schutzdamm zwischen Ijsselmeer und Nordsee ein wahrer Glücksfall für die Einwohner eines Landes, das zu rund einem Viertel unterhalb des Meeresspiegels liegt.
Das 32 Kilometer lange und 90 Meter breite Erdbauwerk wurde 1933 fertiggestellt. An der Stelle des Lückenschlusses im Deich steht das Vlietermonument von Willem Dudok – ein sehenswertes Beispiel rationalistischer Architektur aus den 30ern.
Der markante Aussichtsturm mit Gastronomie ist ein beliebter Zwischenstopp bei der motorisierten Überquerung über die A7. Winderprobte Radfahrer und Langstreckenläufer können die Strecke auf einem separaten Fahrrad- und Fußweg zurücklegen. Abenteuer- und Seeluft schnuppern garantiert!
Kurz vor Friesland lädt das 2018 eröffnete Afsluitdijk Wadden Center zu einem Besuch ein. Das strahlend weiße Ausstellungsgebäude fällt schon von Weitem ins Auge. Seine offenporige, hexagonal gerasterte Fassade zitiert die Struktur von Meeresschaum.
Auch von innen ist die Architektur bereits ein Erlebnis für sich. Die sechseckigen Fassadenöffnungen schaffen lichtdurchflutete Räume und eröffnen gerahmte Ausblicke auf die weite Wasserlandschaft.
Ein Besuch der Ausstellung vermittelt Wissenswertes über die Geschichte und Zukunft des Abschlussdeiches sowie die ökologischen Aspekte im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer.
Fazit
Mit der Reihe „Glücksorte“ sind dem Droste Verlag erfrischend andere Reiseführer gelungen, die man auch zuhause auf dem Sofa gerne in die Hand nimmt. Der Schwerpunkt liegt auf den Geschichten hinter den Sehenswürdigkeiten.
Unter jedem Tipp sind Adresse, Weblink und ÖPNV-Anbindung aufgeführt. Die handlichen Bücher sind jedoch als Inspirationsquelle zu verstehen, nicht als Navigationsgerät. Geht man damit auf Entdeckungsreise, wird man das Internet für die eine oder andere Zusatzinformation konsultieren müssen.
Hier gibt’s unseren Buchtipp
“Glücksorte in Nordholland”
Erschienen im Droste Verlag im Juli 2021
Von Jutta M. Ingala
168 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-7700-2296-0
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Reiseführer Nordholland
Mareike Dietrich
Textgestalterin – Autorin
Als Innenarchitektin und Texterin gestaltet Mareike Ideen, Räume und Sprache. Für Glücksmomente Charmingplaces berichtet sie über alles, was ihr am Herzen liegt und sie selbst glücklich macht.
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