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Matala. Rethymnon. Chania. Es gibt Orte auf Kreta, die kennt jeder Fan der Insel. Grundsätzlich kann man sagen, dass der Norden Kretas touristisch am stärksten geprägt ist – mit ein paar Ausnahmen im Süden (etwa Makrigialos oder Paleochora). Doch je weiter man in den Osten der Insel – in den Bezirk Sitia – vordringt, desto weniger touristisch erschlossen ist sie. Große Hotelkomplexe? Fehlanzeige! Clubs und Bars dicht an dicht? Keineswegs.
Den Höhepunkt reinster Idylle erreicht Kreta schließlich am Kap Sideros – auch bekannt als Kap Sidero, Kavos Sidero oder Cavo Sidero. Hier findet man keine Menschenseele mehr vor. An der nordöstlichsten Ecke Kretas gibt es nur eins: eine wilde Naturkulisse. Und eine Militärbasis!
Mitten im Naturschutzgebiet des Kaps befindet sich eine Marinestation. Das ist auch der Grund, warum sich niemand hierher verirrt. Denn: Zutritt ist strengstens untersagt. Damit sind der hiesige Kyriamadi Natural Park, der Beach Agios Isidoros, die Veta Bay und die Nema Bay für die Öffentlichkeit unerreichbar. Ebenso wie der am Kap stehende, einsame Leuchtturm und die nur wenige 100 Meter davon entfernt gebaute Kirche Agios Isidoros.
Und doch: An einem Tag im Jahr hat man die Möglichkeit, all das live vor Ort sehen zu können. Am Festtag des Heiligen Isidoros von Pelousiotos. Dann wird das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und was dann passiert, ist der Wahnsinn.
Wer zu Kretas Kap will, muss früh aufstehen
Unsere Reise beginnt in Palekastro. In dem kleinen Dorf haben wir uns extra für wenige Tage eingemietet, um am großen Tag schnell zum Kap fahren zu können. Als wir unserem Vermieter von unserem Vorhaben erzählen, macht der große Augen. Wir sollten auf jeden Fall früh unterwegs sein, denn es würden viele Menschen kommen. Ab 8 Uhr wäre das Gelände zugänglich.
Wir stellen uns also für einen Sonntag einen sehr frühen Wecker. Rrrriing. Wir machen uns fertig und los geht’s. Noch schnell bei der Bäckerei vorbei, Proviant holen. Wir berichten der Bäckerin, wohin wir gerade unterwegs sind. Daraufhin scheucht sie uns regelrecht aus dem Laden. Wir sollten uns beeilen. Es würde ab 10 Uhr sehr sehr voll werden . “Hurry up”, ruft sie uns hinterher.
Und sie hat Recht. Als wir die einzige Straße hinauf zum sonst so einsamen Kap nehmen, sehen wir einige Reisebusse am Horizont. Von Chania und Heraklion aus werden die Menschen zu Tausenden hierher gefahren. An diesem besonderen Tag scheint das Kap in Aufruhr.
Wir fahren durch unberührte Täler. Berge in der Ferne. Die einsame Straße schlängelt sich den Weg das Kap hinauf. Und dann plötzlich – eine Schranke. Und Menschen in Militäruniformen.
Als wir an der Reihe sind und das Autofenster hinunterlassen, drückt uns eine Dame einen Zettel in die Hand und redet mit uns auf griechisch. Als wir signalisieren, dass wir sie nicht verstehen, ruft sie einen Kollegen. Wir verständigen uns auf Englisch und er sagt uns, dass der Zutritt nur für griechische Staatsbürger sei. Wir sind sichtlich traurig, aber dann winkt er uns an die Seite.
Unser Weg durch das Militärgebiet
Hier stehen wir nun, während er telefoniert. Und tatsächlich: Wir bekommen die Genehmigung zum Weiterfahren. Dafür muss einer von uns seinen Personalausweis abgeben, den wir aber auf der Rückfahrt wieder abholen können.
Es geht also weiter für uns. Der Zettel, den uns die Dame hinter der Schranke in die Hand gedrückt hat, ist auf griechisch. Google Translate hilft. Hier steht, von wann bis wann das Gelände an dem Tag geöffnet ist. Und einige Regeln. Fotografieren und Filmen – untersagt. Zwischenzeitlich mit dem Auto anhalten – untersagt. Man soll auf direktem Weg Richtung Kirche fahren.
Das tun wir auch und kommen kurz vor dem Leuchtturm unweit der Kirche zum Stehen. Hier weisen Militärleute die Gäste ein. Der Parkplatz ist bereits jetzt, gegen 9 Uhr, sehr sehr voll. Zur Kirche hinauf bildet sich bereits eine Schlange. Die Griechen stehen an, um Kerzen zu bekommen. Diese werden dann in der Kirche angezündet. Und die draußen stehende Ikone des Heiligen Isidoros von Pelousiotos verehrt. Symbolisch küssen die Griechen das Abbild.
Der Leuchtturm am Kap Sideros
Allein das gesehen zu haben, ist etwas ganz Besonderes. Ebenso zieht uns aber der an der Spitze des Kaps stehende Leuchtturm in seinen Bann. Er ist 15 Meter hoch und bereits mehr als 140 Jahre alt – wenn man von seiner zwischenzeitlichen Zerstörung 1941 durch deutsche Soldaten absieht. Und bis heute operiert er noch.
Uns gelingt es, einen Schnappschuss des Turms zu machen. Fotografieren ist zwar verboten, aber viele halten sich nicht daran. Die Smartphones werden gezückt und fleißig Aufnahmen gemacht.
Unberührte Strände – im wahrsten Sinne des Wortes
Der Leuchtturm und die Kirche stehen erhöht über einem Strand: dem Beach Agios Isidoros. Er wird von den beiden Sehenswürdigkeiten auf seiner nördlichen Seite umrahmt, liegt aber deutlich tiefer.
Wer den Weg hinauf zur Kirche nimmt und einen Blick hinunter wirft, kann kaum glauben, dass dieser Strand nicht genutzt wird. Wir können es auf jeden Fall nicht. Die Bucht ist einfach nur wunderschön – vielleicht sogar, weil sie nie von Menschen aufgesucht wird.
Ironischerweise stehen an dem Strand noch einige fest verbaute Sonnenschirme aus Bambus. Ihre besten Tage haben sie hinter sich. Die Frage, wann sie das letzte Mal einem Menschen Schatten spendeten, kommt beim Anblick auf.
Die wilde Artischocke
Zurück zu unserem Ausflug zum Kap.
Mittlerweile scheinen alle Reisebusse ihr Ziel erreicht zu haben. Die beiden Parkplätze vor Ort sind auf jeden Fall voll. So müssen einige Busse weiter oben an der Straße parken. Es sind rund 25 Stück, die nun hier auf dem sonst so einsamen Kap stehen.
Und wir – stehen mitten in der Masse an Menschen, die den Weg hinauf zur Kirche nehmen wollen. Dabei fällt uns auf, dass einige kleine Gärtnermesser dabei haben und neugierig die Pflanzen neben dem Weg die Kirche hinauf absuchen. Wir fragen, was es damit auf sich hat.
Sie alle sind auf der Suche nach der wilden Artischocke, die auf dem Kap reichlich wachsen soll. Eigentlich ist ihre Erntezeit im März. Doch da der Feiertag des Heiligen Isidoros nun mal auf Anfang Februar fällt, muss man die etwas frühere Erntezeit hinnehmen.
Endlich bei der Kirche
Oben bei der Kirche angekommen, können wir die ganze Schönheit der griechisch-orthodoxen Tradition bewundern. Die Menschen verehren Isidoros – bzw. sein Abbild, das vor der Kirche steht. Sie zünden Kerzen an. Sie singen. Und sind einfach dankbar.
Kap Sideros Kreta: Ein Stück Natur, das es zu erhalten gilt
Wir haben genug gesehen. Voller Eindrücke im Gepäck machen wir uns auf den Rückweg. An der Schranke bekommen wir noch unseren hinterlegten Personalausweis ausgehändigt. Jetzt geht es zurück nach Palekastro.
Auf dem Rückweg fahren wir an einer langen Autoschlange vorbei. Die Griechen stehen bereits zu Dutzenden an. Da hat sich der frühe Aufbruch sichtlich gelohnt.
Wir genießen noch einmal den Blick auf die unberührte Landschaft – und schießen ein paar Bilder. Jetzt ist es wieder erlaubt.
Wie schön die unberührte Natur doch sein kann. Doch leider steht ein neues Bau-Projekt in den Startlöchern. Hier soll das Cavo Sidero Luxus Resort entstehen. Ein gigantischer Hotelkomplex mit eigenem Yachthafen für rund 7.000 Gäste! Nach rund drei Jahrzehnten Diskussion und Prüfung hat die Regierung in Griechenland für das Vorhaben grünes Licht gegeben, Baubeginn sollte 2023 sein.
All das, obwohl nur ein paar Kilometer entfernt ein früheres Großprojekt ein mahnendes Beispiel sein sollte. Das dort errichtete Dionysos Authentic Resort steht seit Jahren leer und sein Verfall schreitet voran. Zumindest konnten wir noch keine Bagger, Kräne oder ähnliches sehen. Und hoffen inständig, dass das so bleibt.
Über uns
Hallo, wir sind Annemarie und Björn – glücklich verheiratet und große Fans der Griechischen Inseln. Ende 2023 wurde die fixe Idee, einen Blog über die Eilande von Hellas zu schreiben, Realität. Seitdem sind wir gemeinsam mit unserer Hunde-Dame Jaune unterwegs und freuen uns, Dir die schönsten Spots des Ionischen Meers und der Ägäis zeigen zu dürfen.